*Da ich heute mal wieder eine längere Zugfahrt hatte ...*
Es war einmal in einem großen friedlichem Königreich da lebte der Sohn eines Kaufmanns. Die Familie war nicht übermäßig reich, doch immerhin besaß der Kaufmann in sowohl in der Stadt als auch in drei der umliegenden Dörfer gut gehende Geschäfte und hatte es doch zu einigem Wohlstand gebracht.
Er ließ seinen Sohn die besten Handelsakademie des Landes besuchen und es es wurde allgemein erwartet, dass er eines Tages des Geschäfte seines Vaters übernehmen werde. Doch schon jungen Jahren war sein Sohn der Ansicht, dass das Kaufmannsgewerbe nichts für ihn sei und er viel lieber Schriftsteller werden wolle, da er Geschichten liebte und eigentlich nie genug von fernen Ländern und Abenteuern hören konnte. Zunächst war der Kaufmann ziemlich wütend auf den Jüngling, doch dann entsann er sich, dass er als Junge ebenfalls einige verrückte Flausen im Kopf gehabt hatte. Und so erlaubte er seinem Sohn nach der Schule Unterricht bei einem bekannten, allerdings nicht sonderlich erfolgreichen Geschichtenerzähler zu nehmen.
Der arme Schriftsteller war nur zu gerne bereit - gegen entsprechende Bezahlung - einen Blick auf die Werke des Jungen zu werfen. Geduldig erläuterte er ihm, wie eine Geschichte seiner Ansicht nach aufgebaut sein müsse und welche erzählerischen Tricks er kannte; was allerdings nicht sonderlich viel war. Dennoch verbesserte sich der Schreibstil des Jungen bereits nach wenigen Wochen und der Geschichtenerzähler musste - doch etwas neidisch - eingestehen, dass er durchaus Talent besaß. Allerdings, so fügte er sogleich hinzu, mangele es ihm an realen Erfahrungen, um die Dinge richtig erzählen zu können. Daher ermunterte er den Jungen, zunächst einmal ein Tagebuch zu führen, um seine Fähigkeiten noch weiter zu verbessern.
Und so begann der Junge damit, fleißig Tag für Tag jeden Stinneseindruck, jede Begegnung und jede flüchtige in einem Tagebuch festzuhalten.
Mehrere Jahre vergingen. Schon bald war aus dem Tagebuch ein Werk aus zwei Bänden geworden. Offensichtlich war Schreiben nicht sein einziges Talent, denn er schaffte seinen Abschluss an der Handelsakademie mit Auszeichnung. Während der Feier anlässlich dieses Ereignisses verkündete sein Vater stolz, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, ihn in das Geschäft einzuführen. Der Junge wagte es nicht, seinem Vater vor allen geladenen Gästen zu widersprechen, doch er begann nun ernsthaft über sein zukünftiges Leben nachzudenken.
Später am Abend als er allein auf seinem Zimmer war, blätterte er durch sein altes Tagebuch und musste erschreckt feststellen, wie Ereignislos sein bisheriges Leben doch verlaufen war. Er erinnerte sich an die Worte des Geschichtenerzählers, den er nun schon seit langem nicht mehr aufgesucht hatte. Wie sollte er je über Drachen, Prinzessinnen und Ritter schreiben können, wenn er noch nicht einmal wusste wie ein Schwert aussah? - Man sollte an dieser Stelle vielleicht erwähnen, dass das Königreich schon seit langem keinen Krieg erlebt hatte und sich die Constables der Stadtwache mit einfach Knüppel begnügten, um für Recht und Ordnung zu sorgen.
Der Jungen war bewusst, dass er die Erfahrungen, der der Geschichtenerzähler meinte, nur würde machen können, wenn er in die fernen Lande auszog und selbst ein Abenteuer erlebte. Ihm war aber auch wohl bewusst, dass er für eine solche Reise Geld benötigen würde und dass er von seinem Vater wohl kaum welches erhalten würde. Und so entschied er schweren Herzens, zunächst einmal auf das Angebot seines Vaters einzugehen und sich das notwendige Geld für die Reise zu verdienen.
So vergingen weitere Jahre. Der Junge arbeite sich schnell in die Geschäfte seines Vaters ein und fand sogar ein wenig gefallen daran. Aus dem Jungen wurde ein Mann und schließlich hatten sie genug Geld, um in einem weiteren Dorf sein Geschäft zu eröffnen. Der alte Kaufmann überließ diese Aufgabe ganz seinem Sohn, um ihn zu testen. Anfänglich kam es zu etlichen Schwierigkeiten, wie bei jeder Neueröffnung, doch der junge Kaufmann bewältigte sie souverän und schon bald war das neue Geschäft ein voller Erfolg und erwirtschaftete gute Gewinne.
Und so nahm der alte Kaufmann eines Tages seinen Sohn zur Seite und eröffnete ihm, dass er gedenke in Ruhestand zu gehen und von nun an ihn die gesamten Geschäfte führen zu lassen. Der junge Kaufmann fühlte sich geehrt, doch zugleich auch ein wenig um seinen Traum betrogen. Inzwischen hatte er genügend Geld beisammen, um für mindestens ein Jahr durch die Lange ziehen zu können. Doch ihm war auch das Alter seines Vaters bewusst und dass es dem alten Mann gewiss das Herz brechen würde, wenn er ihn jetzt so einfach im Stich ließe.
Also entschied der junge Kaufmann - dies war er nun fürwahr - die Geschäfte seines Vaters zumindest für einige Zeit zu übernehmen. Letztlich würde er die Reise immer noch unternehmen können und je mehr Geld er hatte, desto größer würde auch gewiss das Abenteuer werden. Derweil würde er sich auch weiterhin mit seinem Tagebuch begnügen, das er nun schon seit so vielen Jahren führte und das inzwischen schon fünf Bände umfasste.
Weitere Jahre vergingen. Mehrere junge - und teilweise auch recht ansehnliche - Damen machten dem jungen Kaufmann all zu deutliche Avancen, da er es durchaus zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte und - zumindest aus Sicht jener Damen - noch zu haben war. Doch der junge Kaufmann hing noch zu sehr an seinem Traum und war der Ansicht, dass er ohnehin schon zu sehr an sein Leben gebunden sei. So wies er die Avancen stets sehr höflich - immerhin handelte es sich meist um gut zahlende Kundinnen - aber auch sehr bestimmt zurück. Allerdings beschrieb er anschließend das Erlebte sehr ausführlich in seinem Tagebuch und widmete vielen der Damen meist mehrere Seiten.
Einige Jahre später verkündete der König des Landes, dass er gedenke, die Handelsgesetze des Landes gründlich zu überarbeiten. Die bedeutendsten Kaufleute des Landes, zu denen inzwischen auch der junge Kaufmann zählte, wurden in die Hauptstadt zitiert, um den König in einem Convent beratend zur Seite zu stehen. Natürlich dachte der junge Kaufmann nicht einmal im Traum daran, sich dem König zu widersetzen. Tatsächlich freute er sich sogar darauf, eine gute Entschuldigung zu haben, dem Alltag wenigstens für ein paar Wochen zu entfliehen. Wenngleich auch eine Reise zur Hauptstadt nicht unbedingt die Art von Abenteuer war, von der er geträumt hatte.
Auf der lange Reise hatte er ausreichend Gelegenheit nochmals in seinen alten Tagebüchern zu blättern. Doch die Lektüre deprimierte ihn zutiefst, da ihm einmal mehr bewusst wurde, wie hohl und leer sein gesamtes bisheriges Leben doch verlaufen war. Und so erreichte er die Hauptstadt in denkbar schlechter Stimmung, die er mit den anderen Kaufleuten des Convents teilte. Allerdings waren seine Kollegen weniger über ihr bisheriges Leben betrübt als vielmehr über die mögliche Änderung der bisherigen Gesetze und die Furcht in Zukunft weniger Gewinne erzielen zu können.
Der König des Landes war durchaus angesehen und galt gemeinhin als aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen, doch die Atmosphäre der offenen Feindseligkeit, die ihm in dem Convent der Kaufleute entgegen schlug, schien selbst ihn zu überfordern. Es wurde viel gebrüllt, lautstark argumentiert und einmal kam es sogar zu Handgreiflichkeiten, bei denen die Ordnungskräfte des Saales eingreifen musste. Der junge Kaufmann verhielt sich weitestgehend passiv und konnte sich nur über des kindische Betragen seiner Kollegen wundern. Doch gelang es ihm bei einigen Gesprächen in den Beratungspausen eine gemäßigte Fraktion zusammenzustellen unter deren Federführung zumindest einige Kompromisse ausgearbeitet werden konnten.
Nach wenigen Wochen endete der Konvent mit einigen eher oberflächlichen Vorschlägen für die Änderung des Handelsgesetzes, bei dem in erster Linie die Teile gestrichen wurden, die ohnehin keine Bedeutung mehr hatten. Doch es war ein guter Kompromiss, den sowohl der König, als auch die versammelten Kaufleute als Erfolg feiern konnten.
In seiner letzten Nacht in der Hauptstadt kehren die Gedankten des jungen Kaufmannes zu seinem Tagebuch zurück. Ihn plagte der Gedanke schon in kurzer Zeit wieder mit dem langweiligen und Ereignislosen Alltag des Geschäftes konfrontiert zu sein. So fast er kurzerhand den Entschluss irgend etwas zu unternehmen. Er packe seine Tagebücher in seinen Rucksack und verließ das Gasthaus in stockfinsterer Nacht.
Auf der Strasse zögerte er, denn im Grunde genommen hatte er nicht die geringste Ahnung, was er denn nun eigentlich unternehmen wollte. Da erinnerte er sich an die Erzählungen über den Zauberer des Königs. Wenn es jemanden gab, der ihm aus seinem langweiligen Leben befreien konnte, dann war er es. So machte sich der junge Kaufmann auf den Weg zu dem Abseits gelegenen Labor des berühmt-berüchtigten Zauberer.
Etwas mulmig war dem Kaufmann schon zumute als er an die verwitterte Tür des windschiefen Hauses klopfte. Der Zauber war nicht unbedingt beliebt, da es hieß er würde in erster Linie schwarze Magie praktizieren. Doch er war wohl weit und breit der Einzige, der noch dazu in der Lage war, höhere Magie zu wirken und so recht traute sich niemand, ihn so einfach aus der Stadt zu vertreiben und zum Feinde zu machen.
Ihm öffnete ein Männlein mit langem zerzaustem Bart, das so ganz und gar nicht wie ein mächtiger Zauberer aussah. Doch dem jungen Kaufmann war wohl bewusst, das der erste Anschein täuschen konnten. Er selbst hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, einen Kunden nie nach dessen Äußeren zu beurteilen, sondern erst abzuwarten bis dieser ihm einen Seitenblick auf den Geldbeutel gewährte.
"Was willst du!" krächzte das Männlein.
"Ich erbitte ihre Hilfe, großer Zauberer", sagte der Kaufmann höflich und - wie
er hoffte - ehrfurchtsvoll, obwohl es ihm doch schwer viel bei den Worten "großer Zauberer" nicht laut zu lachen, immerhin reicht ihm das Männlein nicht einmal bis zu Schulter.
"Zur Armenküche geht es die Straße runter dann nach rechts!"
"Ich benötige keine Almosen," erwiderte der Kaufmann mit fester Stimme und richtet dich etwas auf. "Mein Problem erfordert Magie."
Das Männlein musterte ihn von oben bis unten.
"Nein, so siehst du auch nicht aus. Ist schon eine Weile her seit das letzte Mal ein Narr mich um Hilfe ersucht hat. Könnte interessant werden." Das Männlein lächelte, bei diesem Anblick hätte der Kaufmann beinahe reißaus genommen.
"Nun, komm' herein denn und sei mein Gast."
Der junge Kaufmann zögerte ein wenig, dieser Aufforderung nachzukommen. Doch schließlich sagte er sich, dass er wohl niemals den Mut aufbringen würde, auf eine lange Reise zu gehen, wenn er schon Angst vor so einem kleinen Wicht hatte. Und so betrat der Kaufmann das Labor des Zauberers, dass so ganz und gar nicht seinen Vorstellung entspracht. Es wirkte eigentlich eher wie die Stube eines heruntergekommenen Bauernhofes, allerdings waren wie Tische und Schränke mit uralten Büchern und Schriften überhäuft.
"Nun denn, welches Problem erscheint dir so kompliziert, dass nur Magie es zu lösen vermag?" fragte der Zauberer nachdem er ihm einen klapperigen Stuhl angeboten hatte.
Also begann der Kaufmann von einem Traum zu erzählen und von seinem bisherigen Leben zu erzählen, wie sein Vater und die Umstände ihn jedes Mal in eine Richtung dirigiert hatten, die er eigentlich gar nicht hatte einschlagen wollen. Und er erklärte ihm, warum ihm kein Ausweg aus dieser Lage einfiele, da inzwischen so große Verantwortung auf seinen Schultern lastet. Er zeigte ihm sogar ein paar Teile aus seinem Tagebuch, obgleich es ihm mehr als peinlich war, einen wildfremden seine höchst privaten Aufzeichnungen lesen zu lassen.
"Soso ..." sagte der Zauberer schließlich nur. "Und was erwartest du nun von mir? Möchtest du, dass ich dir einen Gifttrank mische, mit dem du deinen Vater ins Jenseits schicken kannst? Dann wärst du frei und deine Flucht vor den Ordnungshütern dürfte genau die Art Abenteuer sein, die du suchst."
"Gottbewahre nein!!!" rief der Kaufmann.
"Natürlich gäbe des auch Mittel und Wege deinen Vater zu beseitigen, ohne dass auch nur der Hauch eines Verdachts auf dich fiele", fuhr der Zauberer mit leuchtenden Augen munter fort. Offenbar bereitete es ihm sichtlich vergnügen einen Mord zu planen.
"Ich möchte meinen Vater nicht umbringen!" rief der Kaufmann empört und konnte nur hoffen, dass es überzeugend genug klang.
Tatsächlich hatte er dergleichen nie auch nur ansatzweise im Sinn gehabt. Obgleich ... so beschämend es war, er musste sich selbst eingestehen, dass da durchaus eine kleine dunkle Seite in ihm war, die seinen Vater dafür hasste, ihn ihn dieses Leben gedrängt zu haben. Doch ein Mord, selbst ein perfekter Mord, stand außer Frage. Nie würde er zulassen, dass seinem Vater etwas zustieße oder - gottbewahre - er daran beteiligt war.
"Was dann also? Wie soll dir Magie weiterhelfen können?" fragte der Zauberer.
Tatsächlich wusste der Kaufmann keine Antwort darauf.
"Ich möchte doch nur Erfahrungen machen ... dass mein Leben interessanter wird."
Der Zauberer rieb sich den Bart und nickte schließlich.
"Zu einem Abenteuer vermag ich dir sicher nicht verhelfen, jedoch ein interessante Leben sollte durchaus möglich sein. Gibt mir dein Tagebuch.. - Keine Angst, du bekommst es wieder."
Nur sehr zögernd überreichte der Kaufmann dem Zauberer den letzten Band seines Tagebuchs. Der Zauber nahm es mit einer beinahe verächtlichen Geste und verschwand damit sogleich in seinem Hinterzimmer. Der Kaufmann hatte nicht einmal die Gelegenheit, irgendeine Frage zu stellen, und so wartete er ... mehrere Stunden. Aus dem Zimmer drangen mehrere sonderbare Geräusche und unter der Türritze waren gelegentlich einige Blitze zu erkennen.
Nachzusehen, was nun eigentlich darin vorging stand außer Frage.
Schließlich öffnete sich die Tür und der Zauberer kehrte zurück. Erneut war jenes unheimliche Grinsen zu sehen und auf den Armen trug er insgesamt sechs identisch aussehende Bände des Tagebuchs. Der Zauberer griff das oberste und reichte es dem Kaufmann zurück.
"Hier hast du dein Tagebuch zurück", sagte er und nickte dann auf die restlichen fünf Bände. "Dies hier sind deine Tagebücher, die noch geschrieben werden."
Der Kaufmann war so überrascht, dass er die Bücher ohne nachzudenken entgegen nahm. Ihm fiel auf, dass die zusätzlichen Bände doch etwas sonderbar aussehen, es schien so als würden sie das Licht nicht richtig einzufangen und als er sie auf dem Tisch ablegte stellte er zu seinem Entsetzen fest, dass sie keinen Schatten warfen, so als wären sie eigentlich gar nicht vorhanden.
"Ich verstehe nicht...", sagte er schließlich, was vollkommen der Wahrheit entsprach.
"Ich gestatte dir einen Blick auf deine zukünftigen Tagebücher. Du könntest wenigstens etwas dankbar sein", erklärte der Zauberer verärgert.
"Aber was hat das mit meinem Wunsch zu tun?"
Daraufhin grinste der Zauberer nur.
"Keine Sorge, dein Leben wird von nun an viel interessanter werden. - Und jetzt geh!"
Der Zauberer machte einige sonderbare Handbewegungen, der Raum verdunkelte sich und der Kaufmann spürte, wie etwas an seinen Kleidern zog. Beim nächsten Augenzwinkern befand er sich plötzlich wieder in seinem Zimmer im Gasthof. Die fünf sonderbaren Bände seines Tagebuchs lagen vor ihm auf dem Boden. Der junge Kaufmann machte schnell einige Schritte rückwärts, um möglichst viel Abstand zu jenen unheimlichen magischen Objekten zu gewinnen.
Auch mehrere Stunden später traute er sich nicht, jene Bücher zu berühren oder gar einen Blick hinein zu riskieren. Am nächsten Morgen war er beinahe versucht, die Bücher einfach auf dem Boden liegen zu lassen und zu vergessen, dass er den Zauberer je aufgesucht hatte. Aber das war natürlich nicht möglich. Was - so fragte er sich - wenn der Hausmagd des Gasthofs die Bücher fand und einen Blick hinein warf? Und so warf er seinen Mantel über jene Bände und wickelte sie fest darin ein.
Auf dem Rückweg dachte er nochmal gründlich über das Geschehen nach. Mehrmals warf er einen Blick auf den zusammengerollten Mantel neben ihm, er war hin und her gerissen zwischen Furcht und Neugier. Letztlich obsiegte die Neugier und er öffnete das Bündel vorsichtig. Im Schatten sahen die Bände eigentlich ganz normal aus und sie fühlten sich auch ganz normal an, wie er kurz darauf feststellen musste.
Ohne lange darüber nachzudenken, nahm er einen der Bände zur Hand und blätterte darin. Sämtliche Seiten waren eng beschrieben und der Kaufmann erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um seine Handschrift handelte. Er schaute genauer hin und sah einen Eintrag der einige Jahre in der Zukunft lag. Das war schon erschreckend genug und den Kaufmann hätte beinahe der Mut verlassen. Doch er fasste sich ein Herz und begann zu lesen.
Wirklich schlau wurde er aus dem geschriebenen allerdings nicht. Eines war jedoch gewiß, es handelte sich in der Tat um seine Handschrift und seinen Schreibstil, niemand anders als er selbst hätte dies schreiben können. Doch in dem Eintrag war von Personen und Ereignissen die Rede, die er weder kannte noch je erlebt hatte. Konnte es wirklich möglich sein, dass der Zauberer ihm einen Blick in die Zukunft gewährt hatte?
Jetzt wo er einigermaßen sicher war, dass ihn die Bücher weder beissen noch in ihm im Gesicht explodieren würden, konnte er sich kaum noch zurückhalten. Er nahm den Band der offensichtlich chronologisch am nächsten war und begann in den ersten Einträgen zu lesen. Die ersten Seiten scheinen eine exakte Kopie seines aktuellen Bandes zu sein und er dachte schon er habe in der Hektik einen Fehler gemacht. Doch dann entdeckte er, dass die letzten Seiten dieses Exemplars befüllt waren. Schnell fand er das aktuelle Datum und laß fasziniert den Eintrag, den er erst Morgen machen würde – sofern der Zauberer keinen üblen Streich mit ihm spielte.
Er beschriebt darin, wie er nach Hause zurückkehrte und mit welchen Worten ihn sein Vater begrüssen würde. Nichts, wirklich außergewöhnliches, aber es klang alles sehr glaubwürdig und spätestens morgen würde er wissen, ob ihn sein Vater tatsächlich mit diesen Worten begrüssen würde oder ob dies alles lediglich ein Schwindel war.
Irgendwann nach der dritten Seite wurde ihm mit einem Mal bewußt wie wenig Bände ihm der Zauberer überlassen hatte. Gerade einmal fünf! Und die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass er – selbst bei kleiner regelmässiger Schrift – spätestens nach zwei Jahren einen neuen Band anfing. Bedeutet das etwa ... weniger als 10 Jahre von jetzt an?! Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken runter.
Er griff nach dem letzten Band in der Sammlung, die ihm der Zauberer gegeben hatte. Doch er konnte sich einfach nicht dazu überwinden, ihn aufzuschlagen und nachzusehen, welches Schicksal ihn erwartet. Vielleicht – so hoffte er – würde er in 10 Jahren sich lediglich dazu entschließen, sein Tagebuch nicht weiter fortzuführen. Oder aber, der Zauberer war der Ansicht gewesen, dass fünf Bände mehr als genug für jemanden wie ihn waren. Tief in seinem Innern wußte er jedoch, dass dies nur Fadenscheinige Hoffnungen waren. Im Grunde wollte er überhaupt nicht wissen, was in diesem Band stand Schnell wickelte er die Bücher wieder in seinen Mantel und versuchte dieses Teufelswerk für den Rest der Reise zu vergessen.
Natürlich war das so gut wie unmöglich. Als er schließlich zu Hause ankam begrüßte ihn sein Vater mit genau den Worten, die er in dem Tagebuch gelesen hatte. Schlimmer noch, als er später auf seinen Gemächern wie gewöhnlich in seinem Tagebuch schrieb, wurde ihm plötzlich bewußt, dass er wie selbstverständlich den Eintrag aus dem Buch des Zauberers reproduziert hatte, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Und jedes einzelne Wort entsprach der Wahrheit.
Einige Tage lang versuchte er vergeblich, nicht weiter darüber nachzudenken, doch schließlich konnte er nicht anders. Er mußte einfach weiter in den Büchern lesen und sein Schicksal ergründen. Doch irgendwie widerstand er der Versuchung, gleich mit der letzten Seite des letzten Bandes zu beginnen. Was auch immer in diesen Bänden stand, er war fest entschlossen, es in der Richten Reihenfolge zu lesen.
Und so überließ er für einige Tage die Geschäfte seinen Gehilfen und verkroch sich in seinem Zimmer, um die fünf Tagebücher von Anfang bis Ende zu lesen. Bisher hatte er nie sonderlich viel in seinen Tagebüchern gelesen, sondern sich hauptsächlich mit schreiben beschäftigt. Bereits nach einigen Duzend Seiten wurde ihm bewußt, was für ein langatmiger Schreiber er im Grunde doch war und dass das Lesen dieser fünf Bände einer Tortur gleichkommen würde. Doch er zwang sich zum Weiterlesen.
Mit jeder Seite wurde seine Erzählweise komplexer. Er lass seine eigene Beschreibung über Dinge, die er seinem Tagebuch gelesen hatte, die er versucht hatte, zu ändern, nur um sie dann genau mit den gelesenen Worten niederzuschreiben. Wirklich kompliziert wurde es, als er die Beschreibung über den heutigen Tag lass, wie er in einigen Wochen an seine jetzige Erfahrung zurückdenken würde und wie er dabei empfunden hatte, als er just diesen Abschnitt gelesen hatte. Dem Kaufmann wurde beinahe schwindelig dabei.
Aber schließlich wurde der Stil wieder ein wenig sachlicher und war nicht mehr all zu sehr auf das Tagebuch selbst fixiert. Er lass über neue Begegnungen und über Geschäfte die er tätigen würde. Der Kaufmann in ihm jubilierte bei diesen Beschreibungen, denn ganz offensichtlich würden all seine Unternehmungen von aussergewöhnlich gutem Erfolg gekrönt sein.
In dem vierten Band schließlich lass über den Tot seines Vaters und der Kaufmann war für einige Stunden dermassen schockiert, dass er unmöglich weiterlesen konnte. Sicher, er hatte immer gewußt, dass sein Vater eines Tages nicht mehr sein würde und er war ja auch nicht mehr der Allerjüngste. Doch das genaue Datum zu kennen ... und schon in so wenigen Jahren. Dies war weit entsetzlicher, als er es sich jemals hätte träumen lassen.
Schließlich konnte er sich dazu durchringen, die auch noch die verbleibenden Seiten zu lesen. Offenbar begann er nach dem Tod seines Vaters endlich mit der Reise, von der er nun schon lange träumte. Tatsächlich schrieb er – beziehungsweise würde noch schreiben – dass er nur aus dem Grunde so lange damit gewartet hatte, weil ihm das Tagebuch ihm von diesem Tag berichtet hatte und er seinen Vater auf seine letzten Tage nicht hatte in Gram verfallen lassen wollen.
Fasziniert lass der Kaufmann über die Länder, die er noch besuchen würde, und über die Menschen, denen er noch begegnen würde. Es klang nach genau der Art von Abenteuer, nach der er sich nun schon so lange sehnte. Und wenn das Tagebuch recht behielt, so wie es die wenigen Wochen bis jetzt recht behalten hatte, so würde er all dies tatsächlich schon in ein paar Jahren erleben.
Doch würde er jemals die Gelegenheit haben, all diese Erfahrungen zu einer Geschichte zusammenzufassen? Er war schon in der Mitte des fünften Bandes angelangt und auch der Kaufmann in dem Buch – seinem zukünftigen Selbst – schien ebenfalls diese Sorge zu plagen. Die Einträge wurden immer deprimierter, da das Ende nahe zu sein schein.
Und dann plötzlich, etwa nach zwei Dritteln des Bandes endetet das Tagebuch gänzlich unvermittelt. Der Kaufmann war perplex. Keine Erklärung, was mit ihm wohl geschehen würde. Keine siechende Krankheit oder sonstiges nahendes Übel hatten sich auf den vorherigen Seiten abgezeichnet. Der Kaufmann blätterte zurück, um noch einmal den letzten Satz zu lesen.
"Ich habe alles versucht. Was auch immer geschehen mag, wird geschehen und es gibt nichts was ich daran zu ändern vermag", stand da geschrieben.
Der Kaufmann blätterte noch ein wenig weiter zurück, um sich Klarheit zu verschaffen. Ganz offensichtlich wußte sein zukünftiges ich genausowenig von dem bevorstehenden Unheil wie er selbst in diesem Augenblick. Er kannte nur das Datum und das es danach ganz augenscheinlich nicht mehr weiterging. Vermutlich war sein Schicksal etwas gänzlich unvorhersehbares Plötzliches, entschied der Kaufmann schließlich und wußte nicht so recht was er davon halten sollte. Einerseits war es vielleicht ein Segen, dass er nicht an irgendeiner schlimmen Krankheit sterben würde, wie er zu Anfang noch befürchtet hatte. Aber andererseits ... so wenige Jahre und dann letztlich doch die bleibende Ungewissheit. Der Zauberer hatte ihm wahrlich ein grausames Geschenk gemacht.
*Bis hier hin bin ich gekommen ... hatte ja noch einiges anderes zu erledigen*
Das Tagebuch
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Das Tagebuch
"I am a bearer," he sang. "I am a dwelling, I am a messenger ..."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
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AW: Das Tagebuch
*Immer noch nicht fertig. Das scheint wohl die bislang längste zu werden *
Man möchte meinen, dass der Rest der Geschichte von nun an schnell erzählt ist, immerhin hat das Tagebuch dem armen Kaufmann bereits fast alle Geheimnisse seines zukünftigen, nicht all zu langen Lebens bereits offenbart. In gewisser Weise stimmt das auch, jedoch: Nur über Erfahrungen zu Lesen ist etwas grundverschiedenes, diese Erfahrungen auch tatsächlich zu machen. In den folgenden Wochen musste der Kaufmann diese Lektion auf die harte Weise lernen.
So hatte er in dem Tagebuch beispielsweise gelesen, dass der Tochter des Bäckers im Dorfe beim Verladen der schweren Mehlsäcke ein schrecklicher Unfall widerfahren würde. Auch hatte er gelesen, dass es zwecklos sein würde, diesen Unfall verhindern zu wollen, doch dies konnte und wollte er einfach nicht glauben.
Natürlich kam es wie es kommen mußte. Der suchte sich einen Vorwand, um vor Ort des Geschehens zu sein, er versuchte die Bäckerstochter von ihrere Arbeit abzuhalten oder sie für sie zu erledigen, doch er erntete nur schallendes Gelächter und bevor er auch nur ansatzweise reagieren konnte, war es auch schon gesehen – genauso wie er es in dem Tagebuch gelesen hatte. Niemand, nicht einmal der alte Bäcker machte ihm je ernsthaft Vorwürfe, doch den Kaufmann plagte der Gedanke, ob der Unfall auch geschehen wäre, wenn er nicht zugegen gewesen wäre.
Aus irgendeinem Grunde verschwieg er diese Gewissensbisse in seinem Tagebuch. Und erst Tage später wurde ihm bewußt, dass ihm das Tagebuch nicht die ganze Wahrheit offenbart hatte, sondern lediglich den Teil der Wahrheit, die er auch bereit war zu Papier zu bringen. Ein Teil von ihm fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er dem Tagebuch nachträglich alles anvertrauen würde. Wenn alles was er schrieb von seinem vergangen Ich gelesen wurde, so konnte er vielleicht ... aber das war natürlich Humbug. Das Geschehene war geschehen und ließ sich auch nicht mehr umkehren. Wenn überhaupt, so war die Zukunft das Einzige was sich formen ließ, aber selbst daran begann er im Anbetracht auf die jüngsten Vorkommnisse zu zweifeln.
Jedoch entschied er, dass er etwas unternehmen musste, um seinem Schicksal zu entkommen oder es zumindest in irgendeiner Form zu verändern. Zunächst versuchte er ganz einfach nicht mehr in seinem Tagebuch zu schreiben, auch wenn es einige Überwindung kostete, da es schon seit langem zu einer festen Gewohnheit geworden war. Aber wenn er nichts mehr aufschrieb, so überlegte er sich, so müssten doch eigentlich die zukünftigen Bände des Zauberers verschwinden oder zumindest nur noch leere Seiten enthalten.
Doch als er am nächsten Tag aufwachte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass die unheimlichen Bände immer noch da waren und die Seiten immer noch mit seiner engen Schrift gefüllt waren. Viel schlimmer noch, als er in seinem aktuellen Band nachschaute, musste er feststellen, dass ein Eintrag für den gestrigen Tag vorhanden war, obwohl er sich absolut sicher war, am gestrigen Abend nichts geschrieben zu haben.
Seine erste Idee war, dass ihn seine Erinnerung einen Streich gespielt und er vielleicht doch spät Abends aus reiner Gewohnheit etwas geschrieben hatte. Aber er versuchte er mehrere Male, verstaute seine Tagebücher sogar für einige Tage in dem Geldschrank seines Geschäfts. Doch jedes Mal erschien ein Eintrag, wie er ihn vermutlich auch selbst geschrieben hätte.
Anschließend griff er zu weit drastischeren Maßnahmen. Es fiel ihm schwer, seine Tagebücher zu vernichten, doch sollte dies der einzige Weg sein, von dieser Bürde los zu kommen, war er nur zu gerne bereit, dies in Kauf zu nehmen. Er versuchte fast alles: Er war die Bücher in den Fluss, zerriss sie, verbrannte sie schließlich sogar, doch jeden Morgen lagen die Bücher wieder unversehrt auf seinem Schreibtisch, so als wäre Tags zuvor nicht das geringste geschehen.
Schweren Herzens musste der Kaufmann einsehen, dass die Magie des Zauberers weit stärker war, als seine Phantasie ihr zu entkommen. Ganz offensichtlich blieb ihm nichts weiter übrig, als sich mit der Situation irgendwie zu arrangieren und irgendwie mit den unheimlichen Tagebüchern zu leben, gleichgültig welche schrecklichen Details sieh ihm enthüllt hatten.
Er versuchte sein Leben wieder in einigermaßen normale Bahnen zu lenken. Während seiner Fixierung auf die Tagebücher, hatte er seine Geschäfte schwer vernachlässigt und seine Angestellten begannen bereits über sein absonderliches Verhalten zu munkeln. Also zwang er sich dazu, zu seinem gewohnten Tagesablauf vor seinem Besuch in der Hauptstadt und seiner Begegnung mit dem Zauberer zurückzukehren. Er begann sogar wieder wie gewohnt in seinem Tagebuch zu schreiben. Auch wenn er letztlich nur das zu Papier brachte, was er auch in den zukünftigen Bänden hätte nachlesen können, so war es doch irgendwie beruhigend und gewährte ihm zumindest den Anschein von Normalität.
Tatsächlich gelang es ihm sogar, der Situation etwas gutes abzugewinnen. Dank seiner Tagebücher wußte er schon im Voraus, wie sich die Preise entwickeln würden und welche Handelsabkommen sich als gewinnbringend erweisen würde und welche Verluste abwerfen würden. Schon nach wenigen Monaten liefen seine Geschäfte bereits besser als jemals zuvor und er hatte bereits Pläne, wie er sie erweitern konnte. Natürlich hatte er bereits in den Tagebüchern gelesen, dass er erfolgreich sein würde. An sich hätte ihn dies abstoßen müssen, doch auch sonderbare Weise fand er eine morbide Befriedigung darin, all seine Konkurrenten mit Hilfe seiner Kenntnis der Zukunft auszuboten und in den Ruin zu treiben.
Innerhalb der kommenden Jahre baute er die kleine Handelskette, die er von seinem Vater übernommen hatte, zu einem kleinen Wirtschaftsimperium aus. Auch wenn er sich nie etwas anmerken lies, so bedeutete ihm dieser Erfolg allerdings rechte wenig, da er schon im voraus wußte, dass es nicht von Dauer sein würde. Jedoch besaß er mehr als genug Geldmittel, um den Rest seines Lebens so zu verbringen, wie auch immer er es wollte. Schließlich kannte er das Datum, an dem das Tagebuch endete; er hatte die ihm verbleibende Zeit schon längst in Tage, Stunden, Minuten, ja sogar in Sekunden ausgerechnet. Jedoch – so sagte er sich - wenn sein Vater schon in so wenigen Jahren versterben sollte, so konnte er ihm vielleicht damit zumindest ein wenig Freude bereiten.
Man möchte meinen, dass der Rest der Geschichte von nun an schnell erzählt ist, immerhin hat das Tagebuch dem armen Kaufmann bereits fast alle Geheimnisse seines zukünftigen, nicht all zu langen Lebens bereits offenbart. In gewisser Weise stimmt das auch, jedoch: Nur über Erfahrungen zu Lesen ist etwas grundverschiedenes, diese Erfahrungen auch tatsächlich zu machen. In den folgenden Wochen musste der Kaufmann diese Lektion auf die harte Weise lernen.
So hatte er in dem Tagebuch beispielsweise gelesen, dass der Tochter des Bäckers im Dorfe beim Verladen der schweren Mehlsäcke ein schrecklicher Unfall widerfahren würde. Auch hatte er gelesen, dass es zwecklos sein würde, diesen Unfall verhindern zu wollen, doch dies konnte und wollte er einfach nicht glauben.
Natürlich kam es wie es kommen mußte. Der suchte sich einen Vorwand, um vor Ort des Geschehens zu sein, er versuchte die Bäckerstochter von ihrere Arbeit abzuhalten oder sie für sie zu erledigen, doch er erntete nur schallendes Gelächter und bevor er auch nur ansatzweise reagieren konnte, war es auch schon gesehen – genauso wie er es in dem Tagebuch gelesen hatte. Niemand, nicht einmal der alte Bäcker machte ihm je ernsthaft Vorwürfe, doch den Kaufmann plagte der Gedanke, ob der Unfall auch geschehen wäre, wenn er nicht zugegen gewesen wäre.
Aus irgendeinem Grunde verschwieg er diese Gewissensbisse in seinem Tagebuch. Und erst Tage später wurde ihm bewußt, dass ihm das Tagebuch nicht die ganze Wahrheit offenbart hatte, sondern lediglich den Teil der Wahrheit, die er auch bereit war zu Papier zu bringen. Ein Teil von ihm fragte sich, was wohl passieren würde, wenn er dem Tagebuch nachträglich alles anvertrauen würde. Wenn alles was er schrieb von seinem vergangen Ich gelesen wurde, so konnte er vielleicht ... aber das war natürlich Humbug. Das Geschehene war geschehen und ließ sich auch nicht mehr umkehren. Wenn überhaupt, so war die Zukunft das Einzige was sich formen ließ, aber selbst daran begann er im Anbetracht auf die jüngsten Vorkommnisse zu zweifeln.
Jedoch entschied er, dass er etwas unternehmen musste, um seinem Schicksal zu entkommen oder es zumindest in irgendeiner Form zu verändern. Zunächst versuchte er ganz einfach nicht mehr in seinem Tagebuch zu schreiben, auch wenn es einige Überwindung kostete, da es schon seit langem zu einer festen Gewohnheit geworden war. Aber wenn er nichts mehr aufschrieb, so überlegte er sich, so müssten doch eigentlich die zukünftigen Bände des Zauberers verschwinden oder zumindest nur noch leere Seiten enthalten.
Doch als er am nächsten Tag aufwachte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass die unheimlichen Bände immer noch da waren und die Seiten immer noch mit seiner engen Schrift gefüllt waren. Viel schlimmer noch, als er in seinem aktuellen Band nachschaute, musste er feststellen, dass ein Eintrag für den gestrigen Tag vorhanden war, obwohl er sich absolut sicher war, am gestrigen Abend nichts geschrieben zu haben.
Seine erste Idee war, dass ihn seine Erinnerung einen Streich gespielt und er vielleicht doch spät Abends aus reiner Gewohnheit etwas geschrieben hatte. Aber er versuchte er mehrere Male, verstaute seine Tagebücher sogar für einige Tage in dem Geldschrank seines Geschäfts. Doch jedes Mal erschien ein Eintrag, wie er ihn vermutlich auch selbst geschrieben hätte.
Anschließend griff er zu weit drastischeren Maßnahmen. Es fiel ihm schwer, seine Tagebücher zu vernichten, doch sollte dies der einzige Weg sein, von dieser Bürde los zu kommen, war er nur zu gerne bereit, dies in Kauf zu nehmen. Er versuchte fast alles: Er war die Bücher in den Fluss, zerriss sie, verbrannte sie schließlich sogar, doch jeden Morgen lagen die Bücher wieder unversehrt auf seinem Schreibtisch, so als wäre Tags zuvor nicht das geringste geschehen.
Schweren Herzens musste der Kaufmann einsehen, dass die Magie des Zauberers weit stärker war, als seine Phantasie ihr zu entkommen. Ganz offensichtlich blieb ihm nichts weiter übrig, als sich mit der Situation irgendwie zu arrangieren und irgendwie mit den unheimlichen Tagebüchern zu leben, gleichgültig welche schrecklichen Details sieh ihm enthüllt hatten.
Er versuchte sein Leben wieder in einigermaßen normale Bahnen zu lenken. Während seiner Fixierung auf die Tagebücher, hatte er seine Geschäfte schwer vernachlässigt und seine Angestellten begannen bereits über sein absonderliches Verhalten zu munkeln. Also zwang er sich dazu, zu seinem gewohnten Tagesablauf vor seinem Besuch in der Hauptstadt und seiner Begegnung mit dem Zauberer zurückzukehren. Er begann sogar wieder wie gewohnt in seinem Tagebuch zu schreiben. Auch wenn er letztlich nur das zu Papier brachte, was er auch in den zukünftigen Bänden hätte nachlesen können, so war es doch irgendwie beruhigend und gewährte ihm zumindest den Anschein von Normalität.
Tatsächlich gelang es ihm sogar, der Situation etwas gutes abzugewinnen. Dank seiner Tagebücher wußte er schon im Voraus, wie sich die Preise entwickeln würden und welche Handelsabkommen sich als gewinnbringend erweisen würde und welche Verluste abwerfen würden. Schon nach wenigen Monaten liefen seine Geschäfte bereits besser als jemals zuvor und er hatte bereits Pläne, wie er sie erweitern konnte. Natürlich hatte er bereits in den Tagebüchern gelesen, dass er erfolgreich sein würde. An sich hätte ihn dies abstoßen müssen, doch auch sonderbare Weise fand er eine morbide Befriedigung darin, all seine Konkurrenten mit Hilfe seiner Kenntnis der Zukunft auszuboten und in den Ruin zu treiben.
Innerhalb der kommenden Jahre baute er die kleine Handelskette, die er von seinem Vater übernommen hatte, zu einem kleinen Wirtschaftsimperium aus. Auch wenn er sich nie etwas anmerken lies, so bedeutete ihm dieser Erfolg allerdings rechte wenig, da er schon im voraus wußte, dass es nicht von Dauer sein würde. Jedoch besaß er mehr als genug Geldmittel, um den Rest seines Lebens so zu verbringen, wie auch immer er es wollte. Schließlich kannte er das Datum, an dem das Tagebuch endete; er hatte die ihm verbleibende Zeit schon längst in Tage, Stunden, Minuten, ja sogar in Sekunden ausgerechnet. Jedoch – so sagte er sich - wenn sein Vater schon in so wenigen Jahren versterben sollte, so konnte er ihm vielleicht damit zumindest ein wenig Freude bereiten.
"I am a bearer," he sang. "I am a dwelling, I am a messenger ..."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
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AW: Das Tagebuch
*Vermutliche schaffe ich es heute immer noch nicht zu Ende In guter Erzähltradition hör ich mal mit einem Kliffhänger auf *
Mehrere Jahre vergingen und der Kaufmann wurde zu einem der angesehensten und einflußreichsten Händler des Landes. Mehrere Mal wurde er zu einer Audienz des Königs geladen, während denen er durchaus sämtliche Entscheidungen jenes unseligen Convents hätte für null und nichtig erklären lassen.
Bei jedem seiner Besuche in der Hauptstadt versuchte er das Haus des Zauberers wiederzufinden. Doch keine seiner Bemühungen war von Erfolg gekrönt. Tatsächlich schien er der einzige zu sein, der überhaupt von dem Zauberer gehört hatte: Jeder, den er fragte, schwor, dass es nie auch nur einen Zauberer in dem gesamten Königreich gegeben hatte, schon gar nicht in der Hauptstadt oder am Hofe des Königs. Und jedes Mal musste der Kaufmann schweren Herzens in seine Heimat zurückkehren.
Schließlich kam der Tag, an dem sein Vater sterben sollte. Der Kaufmann hatte längst aufgegeben, die Vorhersagen seiner Tagebücher in Frage zu stellen und zu versuchen, den Lauf der Dinge zu verändern. Es kostete ihn all seine Überwindung, um sich an diesem Tag so normal wie möglich zu verhalten. Und wie nicht anders zu erwarten, erfüllten sich sämtliche Vorhersagen seines Tagebuches bis ins kleinste Detail.
In nicht einmal ganz einer Woche kratzte er einen Teil seiner beachtlichen Geldmittel zusammen und begann seine Reise, auf die er nun schon so lange gewartet hatte. Sicherlich erschien vielen dieser plötzliche Aufbruch und Sinneswandel als unangebracht und vielleicht sogar als ein wenig kaltschnäuzig. Immerhin hätte man erwarten können, dass er seinen familiären Verlust zumindest ein wenig betrauerte. Doch da der Kaufmann dieses Ereignis nun schon seit vielen Jahren vorhergesehen hatte, war für ihn nichts mehr, was er noch hätte betrauern können.
Als er schließlich unterwegs war, schein eine Last von seinen Schultern genommen worden zu sein. Endlich war er frei darin, alles zu unternehmen wonach auch immer ihm der Sinn stand; zumindest für die Zeit, die ihm noch vergönnt war.
Als erstes besuchte er die angrenzenden Königreiche, was eine ziemliche Enttäuschung war, da sich das Leben dort nahezu identisch abspielte, wie in seiner Heimat. Doch natürlich wußte er dies schon längst aus seinem Tagebuch und so hielt er sich erst gar nicht lange damit auf, Land und Leute auch nur ansatzweise kennenzulernen. Ihn interessierte allein, schnellstmöglich den Ozean zu erreichen, wo er kurzerhand ein hochseetüchtiges Schiff samt Mannschaft kaufte; zu einem unangemessen hohen Preis, wie man vielleicht noch hinzufügen sollte. Doch das kümmerte ihn nicht weiter. Er besaß ohnehin weit mehr Geld als er je würde sinnvollerweise ausgeben können. Ihn interessierte allein, dass das Abenteuer nun endlich beginnen würde.
Und ein Abenteuer war es in der Tat. Er besuchte Inseln, die einst von Drachen bevölkert waren, von denen allerdings nur noch einige beachtliche versteinerte Skelette zeugten; in seiner Phantasie konnte sich der Kaufmann jedoch lebhaft vorstellen, welche majestätische Geschöpfe dies einst gewesen sein mussten. Er besuchte Orte, die einst Schauplatz geradezu epischer Schlachten gewesen waren und von denen tatsächlich immer noch einige Zeugnisse vorhanden waren. Er bestaunte fremdartige Bauwerke und Ruinen; wilde Tiere, die er noch nie zuvor gesehen hatte, deren Existenz er nicht einmal erahnt hätte, wäre da nicht sein Tagebuch gewesen.
Natürlich musste er auch etliche Gefahren bewältigen. Sein offensichtlicher Reichtum lockte die übelsten Diebe und Halsabschneider, die vor nichts zurückschreckten. Doch dank seines Tagebuches konnte er jeden noch so geschickten Hinterhalt vorhersehen und geeignete Maßnahmen ergreifen. Gelegentlich ließ er sich von einem Bodyguard begleiten, manchmal warb er auch Söldner an und gelegentlich beauftragte er sogar von sich aus hinterlistige Meuchelmörder, um eine Bedrohung schon von vorne herein abzuwenden.
Vielleicht wäre es angemessen gewesen, sich permanent von einer kleinen Armee bewachen zu lassen – die Mittel dazu hatte er. Doch der Kaufmann lernte recht schnell, dass auch von seinen Untergebenen eine nicht unbeträchtliche Gefahr ausging. So dachten beispielsweise mehrere Mitglieder seiner Schiffsmannschaft beinahe offen über Meuterei nach, nur um sich einen kleinen Teil seines Geldes aneignen zu können; vermutlich hätten sie sogar Erfolg gehabt, wenn ihnen der Kaufmann nicht zuvorgekommen wäre. So willkommen das Geld auch auch als Mittel zum Zweck war, es war zugleich auch eine Bürde.
Der Kaufmann dachte mehrmals darüber nach, ob ihm gerade sein Geld letztlich zum Verhängnis werden würde. Vielleicht gelang es tatsächlich einem Dieb, ihn so überraschend zu überfallen, dass er keine Gelegenheit mehr hatte, auch nur irgend etwas darüber in seinem Tagebuch zu vermerken. Doch natürlich wusste der Kaufmann inzwischen nur all zu gut, dass derartige Überlegungen zwecklos waren. Wenn er sich mit einer Armee zu seinem Schutz umgab, würde sein Verderben aus den eigenen Reihen kommen, verzichtete er auf jedweden Schutz oder verschenkte gar seinen gesamten Besitz, so würde ihm seine Schutzlosigkeit zum Verhängnis werden. Ganz egal, was er auch versuchte, nichts würde sich daran ändern, dass das Tagebuch an eben jenem Tag endetet.
Als es dann schließlich soweit war, versuchte der Kaufmann sich seinem Schicksal so gefasst wie möglich zu stellen. Letztlich, so sagte er sich, erging es ihm kaum schlimmer, als all den anderen Menschen dieser Welt, denn niemand konnte sein eigenes Schicksal vorhersehen. Im Gegensatz zu vorangegangen Jahren wußte der Kaufmann nicht, was ihn an diesem Tag erwartete, er war sich lediglich sicher, dass er ein unheilvolles Ende nehmen würde.
So verkaufte er sein Schiff, entließ all seine Bewachter und Gehilfen und zog sich in ein armseliges, abgelegenes Gasthaus zurück, dass er eher durch Zufall fand. Er dachte nicht lange darüber nach, ob dies ein vernünftiger Schritt war oder nicht, denn alle Überlegungen dieser Art führten zu nichts. Und dort wartete er schließlich darauf, dass der Tag zu Ende ging.
Von den Besitzern der Gasthauses drohte ihm kaum eine Gefahr. Sie waren schon alt und obwohl der Kaufmann körperlich nie sonderlich stark oder behende gewesen war, war er sich doch sicher, dass er es mit ihnen aufnehmen konnte, sollte es zu einem Kampf kommen. Sehr wohl aber hütete er sich davor, auch nur irgend etwas von den angebotenen Speisen und Tränken anzurühren.
Viele Stunden passierte nicht das geringste. Beinahe aus Trotz schrieb der Kaufmann schließlich jenen abschließenden, verhängnisvollen Satz in sein Tagebuch. Wie auf Kommando sprang die Tür auf und ein hünenhafter Mann polterte in die Gaststube. Der Kaufmann wußte sofort, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
Mehrere Jahre vergingen und der Kaufmann wurde zu einem der angesehensten und einflußreichsten Händler des Landes. Mehrere Mal wurde er zu einer Audienz des Königs geladen, während denen er durchaus sämtliche Entscheidungen jenes unseligen Convents hätte für null und nichtig erklären lassen.
Bei jedem seiner Besuche in der Hauptstadt versuchte er das Haus des Zauberers wiederzufinden. Doch keine seiner Bemühungen war von Erfolg gekrönt. Tatsächlich schien er der einzige zu sein, der überhaupt von dem Zauberer gehört hatte: Jeder, den er fragte, schwor, dass es nie auch nur einen Zauberer in dem gesamten Königreich gegeben hatte, schon gar nicht in der Hauptstadt oder am Hofe des Königs. Und jedes Mal musste der Kaufmann schweren Herzens in seine Heimat zurückkehren.
Schließlich kam der Tag, an dem sein Vater sterben sollte. Der Kaufmann hatte längst aufgegeben, die Vorhersagen seiner Tagebücher in Frage zu stellen und zu versuchen, den Lauf der Dinge zu verändern. Es kostete ihn all seine Überwindung, um sich an diesem Tag so normal wie möglich zu verhalten. Und wie nicht anders zu erwarten, erfüllten sich sämtliche Vorhersagen seines Tagebuches bis ins kleinste Detail.
In nicht einmal ganz einer Woche kratzte er einen Teil seiner beachtlichen Geldmittel zusammen und begann seine Reise, auf die er nun schon so lange gewartet hatte. Sicherlich erschien vielen dieser plötzliche Aufbruch und Sinneswandel als unangebracht und vielleicht sogar als ein wenig kaltschnäuzig. Immerhin hätte man erwarten können, dass er seinen familiären Verlust zumindest ein wenig betrauerte. Doch da der Kaufmann dieses Ereignis nun schon seit vielen Jahren vorhergesehen hatte, war für ihn nichts mehr, was er noch hätte betrauern können.
Als er schließlich unterwegs war, schein eine Last von seinen Schultern genommen worden zu sein. Endlich war er frei darin, alles zu unternehmen wonach auch immer ihm der Sinn stand; zumindest für die Zeit, die ihm noch vergönnt war.
Als erstes besuchte er die angrenzenden Königreiche, was eine ziemliche Enttäuschung war, da sich das Leben dort nahezu identisch abspielte, wie in seiner Heimat. Doch natürlich wußte er dies schon längst aus seinem Tagebuch und so hielt er sich erst gar nicht lange damit auf, Land und Leute auch nur ansatzweise kennenzulernen. Ihn interessierte allein, schnellstmöglich den Ozean zu erreichen, wo er kurzerhand ein hochseetüchtiges Schiff samt Mannschaft kaufte; zu einem unangemessen hohen Preis, wie man vielleicht noch hinzufügen sollte. Doch das kümmerte ihn nicht weiter. Er besaß ohnehin weit mehr Geld als er je würde sinnvollerweise ausgeben können. Ihn interessierte allein, dass das Abenteuer nun endlich beginnen würde.
Und ein Abenteuer war es in der Tat. Er besuchte Inseln, die einst von Drachen bevölkert waren, von denen allerdings nur noch einige beachtliche versteinerte Skelette zeugten; in seiner Phantasie konnte sich der Kaufmann jedoch lebhaft vorstellen, welche majestätische Geschöpfe dies einst gewesen sein mussten. Er besuchte Orte, die einst Schauplatz geradezu epischer Schlachten gewesen waren und von denen tatsächlich immer noch einige Zeugnisse vorhanden waren. Er bestaunte fremdartige Bauwerke und Ruinen; wilde Tiere, die er noch nie zuvor gesehen hatte, deren Existenz er nicht einmal erahnt hätte, wäre da nicht sein Tagebuch gewesen.
Natürlich musste er auch etliche Gefahren bewältigen. Sein offensichtlicher Reichtum lockte die übelsten Diebe und Halsabschneider, die vor nichts zurückschreckten. Doch dank seines Tagebuches konnte er jeden noch so geschickten Hinterhalt vorhersehen und geeignete Maßnahmen ergreifen. Gelegentlich ließ er sich von einem Bodyguard begleiten, manchmal warb er auch Söldner an und gelegentlich beauftragte er sogar von sich aus hinterlistige Meuchelmörder, um eine Bedrohung schon von vorne herein abzuwenden.
Vielleicht wäre es angemessen gewesen, sich permanent von einer kleinen Armee bewachen zu lassen – die Mittel dazu hatte er. Doch der Kaufmann lernte recht schnell, dass auch von seinen Untergebenen eine nicht unbeträchtliche Gefahr ausging. So dachten beispielsweise mehrere Mitglieder seiner Schiffsmannschaft beinahe offen über Meuterei nach, nur um sich einen kleinen Teil seines Geldes aneignen zu können; vermutlich hätten sie sogar Erfolg gehabt, wenn ihnen der Kaufmann nicht zuvorgekommen wäre. So willkommen das Geld auch auch als Mittel zum Zweck war, es war zugleich auch eine Bürde.
Der Kaufmann dachte mehrmals darüber nach, ob ihm gerade sein Geld letztlich zum Verhängnis werden würde. Vielleicht gelang es tatsächlich einem Dieb, ihn so überraschend zu überfallen, dass er keine Gelegenheit mehr hatte, auch nur irgend etwas darüber in seinem Tagebuch zu vermerken. Doch natürlich wusste der Kaufmann inzwischen nur all zu gut, dass derartige Überlegungen zwecklos waren. Wenn er sich mit einer Armee zu seinem Schutz umgab, würde sein Verderben aus den eigenen Reihen kommen, verzichtete er auf jedweden Schutz oder verschenkte gar seinen gesamten Besitz, so würde ihm seine Schutzlosigkeit zum Verhängnis werden. Ganz egal, was er auch versuchte, nichts würde sich daran ändern, dass das Tagebuch an eben jenem Tag endetet.
Als es dann schließlich soweit war, versuchte der Kaufmann sich seinem Schicksal so gefasst wie möglich zu stellen. Letztlich, so sagte er sich, erging es ihm kaum schlimmer, als all den anderen Menschen dieser Welt, denn niemand konnte sein eigenes Schicksal vorhersehen. Im Gegensatz zu vorangegangen Jahren wußte der Kaufmann nicht, was ihn an diesem Tag erwartete, er war sich lediglich sicher, dass er ein unheilvolles Ende nehmen würde.
So verkaufte er sein Schiff, entließ all seine Bewachter und Gehilfen und zog sich in ein armseliges, abgelegenes Gasthaus zurück, dass er eher durch Zufall fand. Er dachte nicht lange darüber nach, ob dies ein vernünftiger Schritt war oder nicht, denn alle Überlegungen dieser Art führten zu nichts. Und dort wartete er schließlich darauf, dass der Tag zu Ende ging.
Von den Besitzern der Gasthauses drohte ihm kaum eine Gefahr. Sie waren schon alt und obwohl der Kaufmann körperlich nie sonderlich stark oder behende gewesen war, war er sich doch sicher, dass er es mit ihnen aufnehmen konnte, sollte es zu einem Kampf kommen. Sehr wohl aber hütete er sich davor, auch nur irgend etwas von den angebotenen Speisen und Tränken anzurühren.
Viele Stunden passierte nicht das geringste. Beinahe aus Trotz schrieb der Kaufmann schließlich jenen abschließenden, verhängnisvollen Satz in sein Tagebuch. Wie auf Kommando sprang die Tür auf und ein hünenhafter Mann polterte in die Gaststube. Der Kaufmann wußte sofort, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
"I am a bearer," he sang. "I am a dwelling, I am a messenger ..."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
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AW: Das Tagebuch
Doch anstatt sich sofort auf den ihn zu stürzen – wie es der Kaufmann im Anbetracht des abrupten Endes seines Tagebuches erwartet hätte – setzte sich der Hüne lediglich ihm gegenüber an den Tisch und gestikulierte in Richtung des Wirts. Offenbar war der Mann hier bestens bekannt, denn er bekam sogleich ein Bier ausgeschenkt und wenig später erschien die Frau des Gastwirts mit einer Portion von der auch gut und gerne eine ganze Familie hätte satt werden können.
Mit morbider Faszination beobachtete er, wie der Fremde das Essen in sich hinein schaufelte ohne dabei auch nur einmal zu pausieren. Offenbar starrte er so aufdringlich, dass der Mann schließlich doch beim Essen innehielt.
"Hab' ihr noch nie eine Mann essen gesehen? Oder was guckt ihr so?" fragte der Riese.
Der Kaufmann war versucht zu antworten, dass er in der Tat noch nie jemanden derart hatte essen sehen. Doch vielleicht war es ja gerade eine unbeabsichtigte Beleidigung wie diese, die sein Ende bedeuten würde. Und so sagte er lediglich: "Ich frage mich, ob ihr es sein werdet, der mein Schicksal besiegelt."
Der Hüne runzelte verdutzt die Stirn.
"Ich mag vielleicht furchteinflössend aussehen, doch so wahr ich hier sitzt, ich habe noch nie einer Fliege etwas zuleide getan; ihr könnt hier jeden fragen, der mich kennt. Wie kommt ihr darauf, dass ich euch übel gesonnen sein könnte? Ich kenne euch nicht einmal."
"Ich besitze sehr viel Geld", erwiderte der Kaufmann gelassen.
Aufgrund seiner teuren Kleidung war dies wohl offensichtlich, daher scheute er sich nicht weiter, dies zuzugeben. Allerdings befand ich ein Großteil seiner Reisekasse in einem Schließfach der hiesigen Bank, so dass ein Strassen- oder Gelegenheitsräuber nur mit einer vergleichsweise geringen Beute rechnen konnte.
"Ach Geld ..." Der Riese machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich besitze alles was ich brauche, mehr wäre Verschwendung und den Ärger nicht wert, es mir auf unredliche Weise anzueignen. Wenn ihr euch so sehr fürchtet von jedermann überfallen zu werden, kann ich euch nur empfehlen, es mir gleich zu tun. Viel Freude scheint euch euer Reichtum ja offensichtlich nicht zu bereiten."
In gewisser Weise konnte der Kaufmann ihm darin nur beipflichten. In den Jahren seiner Reise hatte er nie wirklich jemanden Vertrauen schenken können.
"Es ist etwas anderes ... dieses Mal."
Der Reise runzelte erneut die Stirn. "Inwiefern? Sehe ich wirklich derart furchteinflössend aus?"
"Nein ... naja, ein wenig schon, aber das ist es nicht ... es ist etwas kompliziert ..."
Und so begann der Kaufmann dem Hünen seine Geschichte zu erzählen. Bislang hatte er seine Tagebücher stets vor allem und jedem geheim gehalten, doch jetzt spielte es keine Rolle mehr. Es hatte etwas ungemein befreiendes, über all dies zu berichten, auch wenn er es einem Wildfremden gegenüber tat. Aber der Hüne erwies sich als überraschend guter Zuhörer, er wirkte nie Unaufmerksam, unterbrach nur selten mit Zwischenfragen und wenn er es doch tat, waren seine Fragen wohl durchdacht und halfen ihm gewisse Dinge in die richtige Reihenfolge zu bringen – was teilweise gar nicht mal so leicht war, wenn man einen Blick in die Zukunft werfen konnte.
Als er bei seiner Erzählung schließlich bei dem heutigen Tag angelangt war, nickte der Riese behäbig und stocherte nachdenklich in seinem inzwischen kalt gewordenem Essen.
"Soso, ihr denkt also, dass euch heute ein schlimmes Schicksal widerfahren wird, nur weil euer magisches Tagebuch plötzlich aufhört." Er nickte erneut. "Nun, da muss ich euch leider enttäuschen. Ich werde ganz gewiss nicht euer Schicksal sein. Eher im Gegenteil, nachdem ihr mir all dies erzählt habt, bin ich durchaus geneigt, euch vor jedwedem Übel zu bewahren."
Der Kaufmann stieß einen resignierten Seufzer aus.
"Das ist sinnlos. Man kann seinem Schicksal nicht entgehen. Ich habe es viele Mal versucht, doch es immer so gekommen, wie es in dem Buch beschrieben stand. Wenn ihr es nicht seit, dann ist es irgend etwas anderes. Vielleicht wartet bereits ein Räuber vor der Tür oder ..."
"Räuber?! Hier?!" Der Hüne lachte lauthals. "Selbst wenn es welche gäbe, so kann ich doch ohne falsche Bescheidenheit behaupten, dass sie sich wohl kaum hinein trauen würden, solange ich hier zu Gast bin. Warum nur seit ihr so fixiert darauf, dass euch nur der Tod ereilen kann. Vielleicht hört ihr heute auch nur einfach damit auf, euer Tagebuch zu schreiben."
Der Kaufmann schüttelte erneut den Kopf. Er war sich nicht mehr ganz sicher, ob er diesen Teil seiner Geschichte ausgelassen hatte oder nicht.
"Auch dies habe ich schon probiert. Ich habe alles versucht, nicht mehr in dem Tagebuch zu schreiben, sogar sie zu vernichten. Doch es hat nichts genützt. Das Tagebuch war jeden Morgen wieder an seinem Platz und mit dem gestrigen Eintrag gefüllt, so als hätte ich ihn selbst geschrieben."
"Mächtige Magie", kommentierte der Hüne nachdenklich. Dann hellte sich seine Mine plötzlich auf. "Ihr mögt vielleicht versucht haben, mit dem Schreiben aufzuhören, doch ihr habt nie mit dem Lesen aufgehört."
Im ersten Moment war der Kaufmann zu verblüfft, um zu antworten. "Ich verstehe nicht."
"Alles was gelesen wird, muss auch geschrieben worden sein", erklärte der Hüne eifrig, offenbar gänzlich von seiner Idee überzeugt. "Jedoch, nicht alles was geschrieben wird, muss auch gelesen werden. Vielmehr verhält es sich doch so, dass alles was geschrieben, aber nicht gelesen wird, bedeutungslos ist – so bedeutungslos, dass es im Grunde genommen überhaupt nicht existiert."
Der Kaufmann dachte lange darüber nach. Auf sonderbare Weise ergab das sogar einen Sinn, auch wenn es recht verwirrend war, wenn man versuchte es im Detail nachzuvollziehen – aber was war an den vergangen Jahren nicht ebenfalls verwirrend gewesen? Konnte es wirklich sein, dass dies der Weg war, der Magie zu entkommen? Bestand das Schicksal dieses Tages lediglich darin, mit einer Idee konfrontiert zu werden, auf die er selbst nie gekommen wäre? Er konnte es kaum glauben, doch er spürte Hoffnung in sich aufkeimen.
"Was schlagt ihr vor, soll ich tun?"
"Das ist einfach", erwiderte der Hüne sofort. "Werft nie mehr einen Blick in eure Tagebücher, öffnet sie am besten gar nicht erst. Verstaut sie in er tiefsten Schublade, die ihr finden könnt."
Das klang irgendwie viel zu einfach, als dass es funktionieren konnte. Doch der Kaufmann war nur zu gerne bereit es auszuprobieren. Er verbrachte die ganze Nacht damit, mit dem Fremden über alle möglichen Themen zu sprechen.
Immer noch rechnete er fest damit, dass irgend etwas schreckliches mit ihm geschehen würde. Doch als schließlich der Morgen dämmerte und immer noch nichts aussergewöhnliches geschehen war, kam er zu der Überzeugung, dass der Riese mit seiner Idee doch recht gehabt haben könnte. Er würde heute nicht sterben, er hatte lediglich einen Weg gefunden, die Magie des Zauberers zu umgehen und sein Tagebuch zu beenden.
Als er schließlich das Gasthaus wieder verließ – die Tagebücher fest verschnürt ganz zu unterst in seinem Rucksack – fragte er sich plötzlich was er nun tun sollte. Bisher hatte er jeden Schritt und jede potentielle Gefahr in seinem Tagebuch nachlesen können, was ihm zu einer gewissen Sicherheit verholfen hatte. Nun plötzlich kam er sich gänzlich verloren vor, da er nicht die geringste Ahnung hatte, was als nächstes geschehen würde.
Da lachte er plötzlich unvermittelt. Er würde ganz einfach so leben, wie jeder andere auch.
*Ich habe lange darüber nachgedacht, ob die Geschichte an diesem Punkt enden soll. Wäre interessant eure Meinung dazu zu hören*
Befreit und immer noch lachend kehrte er in die nahe Stadt zurück und überlegte sich, wie er wohl in seine Heimat zurückkehren könnte. Zum ersten Mal seit langem begann er sich über Geld Gedanken zu machen. Jetzt wo die Zukunft wieder ungewiss war, würde er wohl nicht mehr so freizügig und sorglos damit umgehen können. Tatsächlich würde er sorgsam planen müssen.
Natürlich kam alles anders, als er es jemals erwartet hätte. Er kaufte eine Passage auf einem Schiff, welches während der Überfahrt überfallen wurde. Er wurde bis auf das letzte Hemd ausgeraubt und da er ganz offensichtlich wohlhabend war, als Geisel genommen, da die Piraten hofften, irgendwer würde ein großzügiges Lösegeld für ihn bezahlen. Doch der Kaufmann konnte in Küstennähe über Bord springen, wurde von einem armen Fischer aufgelesen, für den er mehrere Monate lang hart arbeiten musste, um sich eine Reise die die nächstgelegene Stadt leisten zu können.
Dort angekommen nutzte der Kaufmann all sein Wissen, um mit Hilfe eines kleinen armseligen Verkaufstand wenigstens ein wenig Geld zu verdienen. Es verging fast ein Jahr, bis er sich endlich zu Fuss auf den Weg zurück in sein Heimatland machte. Allein diese Reise nahm beinahe ein weiteres halbes Jahr in Anspruch und der Kaufmann musste unterwegs teilweise als niederster Tagelöhner bei den Bauern sein Geld verdienen.
Doch schließlich schaffte er es, in die heimatlichen Gefilde zurückzukehren. Der nun schon seit so vielen Jahren unterwegs gewesen war und ihm so viel übles widerfahren war, befürchtete er fast schon, dass niemand ihn wiedererkennen würde. Doch tatsächlich erkannte man ihn und und hiess ihn willkommen. Selbst der Bürgermeister lud ihn zu sich zuhause ein, um sich von ihm alles berichten zu lassen, was er so auf seiner langen Reise erlebt hatte.
Um seine Finanzen stand es allerdings weit weniger gut. Ein Großteil siner Geschäfte existierte zwar noch, aber die Geschäfte gingen schlecht und viele seiner ehemaligen Konkurrenten hatten sich zusammengetan, um auch noch die letzten Reste seines ehemaligen kleinen Imperiums endgültig vom Markt zu verdrängen. Der Kaufmann musste viele seiner ehemaligen Besitztümer verkaufen, um wenigstens noch einen kleinen Teil retten zu können. Am Ende besaß er noch weit weniger, als er ehemals von seinem Vater überlassen bekommen hatte.
Er traf eine seiner früheren Kundinnen, die inzwischen bereits verwittert war, und verliebte sich. Zunächst wollte die Dame nicht das Geringste von ihm wissen, da sie ihm seinerzeit ebenfalls einige Avancen gemacht und ihm die Zurückweisung nie wirklich verziehen hatte. Doch schließlich ein gab sie nach und sie heirateten kurze Zeit später.
Es kam zu einer wirtschaftlichen Krise und die den Kaufmann beinahe in den Ruin trieb. Er musste einige weitere Geschäfte aufgeben und wußte plötzlich nicht mehr so recht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte, als er nur noch um zwei kleinere Niederlassungen zu kümmern hatte. Und so begann er wieder damit zu schreiben. Anstelle eines Tagebuches versuchte er sich jedoch an einer fiktiven Geschichte, die sich sehr lose an den Erlebnissen seiner langen Reise orientierte. Er fand einen Verleger, der bereit war die Geschichte zu veröffentlichen. Es wurde nur ein mäßiger Erfolg, doch der Kaufmann konnte das Geld gut gebrauchen und er fühlte sich ermutigt, noch weitere Geschichten zu schreiben.
Innerhalb der kommenden Jahre wurde er zu einem weithin bekannten und recht erfolgreichen Schriftsteller. Im Grunde genommen, benötigte er die Geschäfte nicht mehr für sein Auskommen, doch er führte aus teils aus Nostalgie teils aus Respekt vor der Arbeit seines Vaters weiter.
Er bekam zwei Kinder und führte alles in allem ein langes und erfülltes Leben. Es heißt das, sein Sohn ihn einmal gefragt haben sollte, was wohl die Zukunft für ihn bereit hielte, woraufhin der Kaufmann geantwortet haben sollte: Sei froh darüber, dass du es nicht weisst und es dir niemand sagen kann.
In all dieser Zeit dachte der Kaufmann nicht einmal im Traum daran, seine altern Tagebücher auch nur eines Blickes zu würdigen. Gleich nach seiner Wiederkehr hatte er sie tief im Keller verstaut und als er viele Jahre später wieder dort unten war, konnte er sie nicht einmal mehr wiederfinden, so als wären sie tatsächlich verschwunden. Vielleicht waren sie das sogar.
Mit morbider Faszination beobachtete er, wie der Fremde das Essen in sich hinein schaufelte ohne dabei auch nur einmal zu pausieren. Offenbar starrte er so aufdringlich, dass der Mann schließlich doch beim Essen innehielt.
"Hab' ihr noch nie eine Mann essen gesehen? Oder was guckt ihr so?" fragte der Riese.
Der Kaufmann war versucht zu antworten, dass er in der Tat noch nie jemanden derart hatte essen sehen. Doch vielleicht war es ja gerade eine unbeabsichtigte Beleidigung wie diese, die sein Ende bedeuten würde. Und so sagte er lediglich: "Ich frage mich, ob ihr es sein werdet, der mein Schicksal besiegelt."
Der Hüne runzelte verdutzt die Stirn.
"Ich mag vielleicht furchteinflössend aussehen, doch so wahr ich hier sitzt, ich habe noch nie einer Fliege etwas zuleide getan; ihr könnt hier jeden fragen, der mich kennt. Wie kommt ihr darauf, dass ich euch übel gesonnen sein könnte? Ich kenne euch nicht einmal."
"Ich besitze sehr viel Geld", erwiderte der Kaufmann gelassen.
Aufgrund seiner teuren Kleidung war dies wohl offensichtlich, daher scheute er sich nicht weiter, dies zuzugeben. Allerdings befand ich ein Großteil seiner Reisekasse in einem Schließfach der hiesigen Bank, so dass ein Strassen- oder Gelegenheitsräuber nur mit einer vergleichsweise geringen Beute rechnen konnte.
"Ach Geld ..." Der Riese machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ich besitze alles was ich brauche, mehr wäre Verschwendung und den Ärger nicht wert, es mir auf unredliche Weise anzueignen. Wenn ihr euch so sehr fürchtet von jedermann überfallen zu werden, kann ich euch nur empfehlen, es mir gleich zu tun. Viel Freude scheint euch euer Reichtum ja offensichtlich nicht zu bereiten."
In gewisser Weise konnte der Kaufmann ihm darin nur beipflichten. In den Jahren seiner Reise hatte er nie wirklich jemanden Vertrauen schenken können.
"Es ist etwas anderes ... dieses Mal."
Der Reise runzelte erneut die Stirn. "Inwiefern? Sehe ich wirklich derart furchteinflössend aus?"
"Nein ... naja, ein wenig schon, aber das ist es nicht ... es ist etwas kompliziert ..."
Und so begann der Kaufmann dem Hünen seine Geschichte zu erzählen. Bislang hatte er seine Tagebücher stets vor allem und jedem geheim gehalten, doch jetzt spielte es keine Rolle mehr. Es hatte etwas ungemein befreiendes, über all dies zu berichten, auch wenn er es einem Wildfremden gegenüber tat. Aber der Hüne erwies sich als überraschend guter Zuhörer, er wirkte nie Unaufmerksam, unterbrach nur selten mit Zwischenfragen und wenn er es doch tat, waren seine Fragen wohl durchdacht und halfen ihm gewisse Dinge in die richtige Reihenfolge zu bringen – was teilweise gar nicht mal so leicht war, wenn man einen Blick in die Zukunft werfen konnte.
Als er bei seiner Erzählung schließlich bei dem heutigen Tag angelangt war, nickte der Riese behäbig und stocherte nachdenklich in seinem inzwischen kalt gewordenem Essen.
"Soso, ihr denkt also, dass euch heute ein schlimmes Schicksal widerfahren wird, nur weil euer magisches Tagebuch plötzlich aufhört." Er nickte erneut. "Nun, da muss ich euch leider enttäuschen. Ich werde ganz gewiss nicht euer Schicksal sein. Eher im Gegenteil, nachdem ihr mir all dies erzählt habt, bin ich durchaus geneigt, euch vor jedwedem Übel zu bewahren."
Der Kaufmann stieß einen resignierten Seufzer aus.
"Das ist sinnlos. Man kann seinem Schicksal nicht entgehen. Ich habe es viele Mal versucht, doch es immer so gekommen, wie es in dem Buch beschrieben stand. Wenn ihr es nicht seit, dann ist es irgend etwas anderes. Vielleicht wartet bereits ein Räuber vor der Tür oder ..."
"Räuber?! Hier?!" Der Hüne lachte lauthals. "Selbst wenn es welche gäbe, so kann ich doch ohne falsche Bescheidenheit behaupten, dass sie sich wohl kaum hinein trauen würden, solange ich hier zu Gast bin. Warum nur seit ihr so fixiert darauf, dass euch nur der Tod ereilen kann. Vielleicht hört ihr heute auch nur einfach damit auf, euer Tagebuch zu schreiben."
Der Kaufmann schüttelte erneut den Kopf. Er war sich nicht mehr ganz sicher, ob er diesen Teil seiner Geschichte ausgelassen hatte oder nicht.
"Auch dies habe ich schon probiert. Ich habe alles versucht, nicht mehr in dem Tagebuch zu schreiben, sogar sie zu vernichten. Doch es hat nichts genützt. Das Tagebuch war jeden Morgen wieder an seinem Platz und mit dem gestrigen Eintrag gefüllt, so als hätte ich ihn selbst geschrieben."
"Mächtige Magie", kommentierte der Hüne nachdenklich. Dann hellte sich seine Mine plötzlich auf. "Ihr mögt vielleicht versucht haben, mit dem Schreiben aufzuhören, doch ihr habt nie mit dem Lesen aufgehört."
Im ersten Moment war der Kaufmann zu verblüfft, um zu antworten. "Ich verstehe nicht."
"Alles was gelesen wird, muss auch geschrieben worden sein", erklärte der Hüne eifrig, offenbar gänzlich von seiner Idee überzeugt. "Jedoch, nicht alles was geschrieben wird, muss auch gelesen werden. Vielmehr verhält es sich doch so, dass alles was geschrieben, aber nicht gelesen wird, bedeutungslos ist – so bedeutungslos, dass es im Grunde genommen überhaupt nicht existiert."
Der Kaufmann dachte lange darüber nach. Auf sonderbare Weise ergab das sogar einen Sinn, auch wenn es recht verwirrend war, wenn man versuchte es im Detail nachzuvollziehen – aber was war an den vergangen Jahren nicht ebenfalls verwirrend gewesen? Konnte es wirklich sein, dass dies der Weg war, der Magie zu entkommen? Bestand das Schicksal dieses Tages lediglich darin, mit einer Idee konfrontiert zu werden, auf die er selbst nie gekommen wäre? Er konnte es kaum glauben, doch er spürte Hoffnung in sich aufkeimen.
"Was schlagt ihr vor, soll ich tun?"
"Das ist einfach", erwiderte der Hüne sofort. "Werft nie mehr einen Blick in eure Tagebücher, öffnet sie am besten gar nicht erst. Verstaut sie in er tiefsten Schublade, die ihr finden könnt."
Das klang irgendwie viel zu einfach, als dass es funktionieren konnte. Doch der Kaufmann war nur zu gerne bereit es auszuprobieren. Er verbrachte die ganze Nacht damit, mit dem Fremden über alle möglichen Themen zu sprechen.
Immer noch rechnete er fest damit, dass irgend etwas schreckliches mit ihm geschehen würde. Doch als schließlich der Morgen dämmerte und immer noch nichts aussergewöhnliches geschehen war, kam er zu der Überzeugung, dass der Riese mit seiner Idee doch recht gehabt haben könnte. Er würde heute nicht sterben, er hatte lediglich einen Weg gefunden, die Magie des Zauberers zu umgehen und sein Tagebuch zu beenden.
Als er schließlich das Gasthaus wieder verließ – die Tagebücher fest verschnürt ganz zu unterst in seinem Rucksack – fragte er sich plötzlich was er nun tun sollte. Bisher hatte er jeden Schritt und jede potentielle Gefahr in seinem Tagebuch nachlesen können, was ihm zu einer gewissen Sicherheit verholfen hatte. Nun plötzlich kam er sich gänzlich verloren vor, da er nicht die geringste Ahnung hatte, was als nächstes geschehen würde.
Da lachte er plötzlich unvermittelt. Er würde ganz einfach so leben, wie jeder andere auch.
*Ich habe lange darüber nachgedacht, ob die Geschichte an diesem Punkt enden soll. Wäre interessant eure Meinung dazu zu hören*
Befreit und immer noch lachend kehrte er in die nahe Stadt zurück und überlegte sich, wie er wohl in seine Heimat zurückkehren könnte. Zum ersten Mal seit langem begann er sich über Geld Gedanken zu machen. Jetzt wo die Zukunft wieder ungewiss war, würde er wohl nicht mehr so freizügig und sorglos damit umgehen können. Tatsächlich würde er sorgsam planen müssen.
Natürlich kam alles anders, als er es jemals erwartet hätte. Er kaufte eine Passage auf einem Schiff, welches während der Überfahrt überfallen wurde. Er wurde bis auf das letzte Hemd ausgeraubt und da er ganz offensichtlich wohlhabend war, als Geisel genommen, da die Piraten hofften, irgendwer würde ein großzügiges Lösegeld für ihn bezahlen. Doch der Kaufmann konnte in Küstennähe über Bord springen, wurde von einem armen Fischer aufgelesen, für den er mehrere Monate lang hart arbeiten musste, um sich eine Reise die die nächstgelegene Stadt leisten zu können.
Dort angekommen nutzte der Kaufmann all sein Wissen, um mit Hilfe eines kleinen armseligen Verkaufstand wenigstens ein wenig Geld zu verdienen. Es verging fast ein Jahr, bis er sich endlich zu Fuss auf den Weg zurück in sein Heimatland machte. Allein diese Reise nahm beinahe ein weiteres halbes Jahr in Anspruch und der Kaufmann musste unterwegs teilweise als niederster Tagelöhner bei den Bauern sein Geld verdienen.
Doch schließlich schaffte er es, in die heimatlichen Gefilde zurückzukehren. Der nun schon seit so vielen Jahren unterwegs gewesen war und ihm so viel übles widerfahren war, befürchtete er fast schon, dass niemand ihn wiedererkennen würde. Doch tatsächlich erkannte man ihn und und hiess ihn willkommen. Selbst der Bürgermeister lud ihn zu sich zuhause ein, um sich von ihm alles berichten zu lassen, was er so auf seiner langen Reise erlebt hatte.
Um seine Finanzen stand es allerdings weit weniger gut. Ein Großteil siner Geschäfte existierte zwar noch, aber die Geschäfte gingen schlecht und viele seiner ehemaligen Konkurrenten hatten sich zusammengetan, um auch noch die letzten Reste seines ehemaligen kleinen Imperiums endgültig vom Markt zu verdrängen. Der Kaufmann musste viele seiner ehemaligen Besitztümer verkaufen, um wenigstens noch einen kleinen Teil retten zu können. Am Ende besaß er noch weit weniger, als er ehemals von seinem Vater überlassen bekommen hatte.
Er traf eine seiner früheren Kundinnen, die inzwischen bereits verwittert war, und verliebte sich. Zunächst wollte die Dame nicht das Geringste von ihm wissen, da sie ihm seinerzeit ebenfalls einige Avancen gemacht und ihm die Zurückweisung nie wirklich verziehen hatte. Doch schließlich ein gab sie nach und sie heirateten kurze Zeit später.
Es kam zu einer wirtschaftlichen Krise und die den Kaufmann beinahe in den Ruin trieb. Er musste einige weitere Geschäfte aufgeben und wußte plötzlich nicht mehr so recht, was er mit seiner Zeit anfangen sollte, als er nur noch um zwei kleinere Niederlassungen zu kümmern hatte. Und so begann er wieder damit zu schreiben. Anstelle eines Tagebuches versuchte er sich jedoch an einer fiktiven Geschichte, die sich sehr lose an den Erlebnissen seiner langen Reise orientierte. Er fand einen Verleger, der bereit war die Geschichte zu veröffentlichen. Es wurde nur ein mäßiger Erfolg, doch der Kaufmann konnte das Geld gut gebrauchen und er fühlte sich ermutigt, noch weitere Geschichten zu schreiben.
Innerhalb der kommenden Jahre wurde er zu einem weithin bekannten und recht erfolgreichen Schriftsteller. Im Grunde genommen, benötigte er die Geschäfte nicht mehr für sein Auskommen, doch er führte aus teils aus Nostalgie teils aus Respekt vor der Arbeit seines Vaters weiter.
Er bekam zwei Kinder und führte alles in allem ein langes und erfülltes Leben. Es heißt das, sein Sohn ihn einmal gefragt haben sollte, was wohl die Zukunft für ihn bereit hielte, woraufhin der Kaufmann geantwortet haben sollte: Sei froh darüber, dass du es nicht weisst und es dir niemand sagen kann.
In all dieser Zeit dachte der Kaufmann nicht einmal im Traum daran, seine altern Tagebücher auch nur eines Blickes zu würdigen. Gleich nach seiner Wiederkehr hatte er sie tief im Keller verstaut und als er viele Jahre später wieder dort unten war, konnte er sie nicht einmal mehr wiederfinden, so als wären sie tatsächlich verschwunden. Vielleicht waren sie das sogar.
"I am a bearer," he sang. "I am a dwelling, I am a messenger ..."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
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AW: Das Tagebuch
Hm ja, du hättest oben aufhören sollen, der Rest wirkt doch irgendwie gezwungen und zusammengeschustert
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AW: Das Tagebuch
Ich werde es dann in der endgültigen Fassung wohl auch so machen.
"I am a bearer," he sang. "I am a dwelling, I am a messenger ..."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."