[/font]Original geschrieben von TheTorn im Januar 2004
Zuweilen findet man sich in einer Kantine oder Taverne - eigentlich ist es egal wo und wann - zu einem netten Treffen zusammen und manchmal lässt Suri sich dazu hinreissen eine Geschichte zu erzählen.
Leider habe ich versäumt beim letzten Mal alles sorgsam mitzuschreiben und ich gebe offen zu, dass ich die Geschichte doch reichlich ausgeschmückt habe, aber im Kern sollte es noch dieselbe sein.
Es war ein mal ein Richter. Der lebte in einem kleinen unbedeutenden Königreich, das von einem gerechten, aber vor allem weisen König regiert wurde.
Eines Tages rief der König den Richter zu einer Audienz, um mit ihm über Recht und Gesetz zu diskutieren. Denn weise wie der König nun einmal war, hatte er längst erkannt, dass Gesetze und Vorordnungen zwar wichtig waren, aber für sich genommen längst noch keine Gerechtigkeit ergaben. Und so sagte er zu dem Richter:
"Die Gesetze, die ich erlasse, sollen lediglich eine Richtlinie für ein friedliches Miteinanderleben sein. Ich kann von keinem meiner Untertanen erwarten, dass sie all diese Papiere lesen und sich buchstabengetreu befolgen. Und so kann sich auch nicht von dir verlangen, dass du buchstabengetreu nach ihnen richtest. Benutze die Gesetze als Richtlinie, um gerechte Urteile zu fällen. Scheue nicht davor zurück Milde oder Härte walten zu lassen, wenn sie dir gerechtfertigt erscheint."
"Aber wäre das nicht Willkür?" fragte der Richter vorsichtig, denn er wusste, dass der König nur selten in der Stimmung war, seine Entscheidungen in Frage stellen zu lassen.
Der König lachte jedoch nur. "Aber ich hätte dich doch nicht zu meinem Richter ernannt, wenn ich nicht Vertrauen in dein Gespür für Gerechtigkeit hätte. Kann ein Urteil willkürlich sein, wenn es zugleich gerecht ist?"
Darauf wusste der Richter nichts zu erwidern. Tatsächlich glaubte er fest an die Gerechtigkeit und bemühte sich fortan gerechte Urteile zu fällen. So erließ er beispielsweise einem Hühnerdieb die Strafe, da ihm zugetragen wurde, dass die Familie des armen Mannes am Hungertuch nagte und eben von dem Besitzer jenes Huhnes auf schändliche - jedoch nicht gesetzeswidrige - Weise um die letzten Ersparnisse gebracht worden war. Andererseits verurteilte er einen üblen Taschendieb zu einem ganzen Jahr Zwangsarbeit ihm Steinbruch, woraufhin dessen Hände so rau und schwielig wurden, dass ihm gar keine andere Wahl blieb, fortan einer ehrlichen Beschäftigung nachzugehen.
Bei jedem seiner Prozesse kamen mehr Zuschauer, so dass der Gerichtssaal bald zu klein wurde. Sie alle stimmten darin überein, dass der Richter gelegentlich zu milde, gelegentlich zu harte, aber in jedem Fall wahrlich gerechte Urteile fällte.
Es kam jedoch der Tag an dem der Richter versagte - ja versagen musste. Verhandelt wurde der Streit zweier Bauern um dasselbe Stück Land von dem beide behaupten es von ihren Vätern geerbt zu haben. Nun muss man wissen, dass es vor vielen Jahren ein Sturm das Haus des Stadtschreibers verwüstet hatte und viele amtliche Dokumente dabei vernichtet worden waren; tragischerweise wohl auch sämtliche Aufzeichnung eben jenen Landstrich betreffend. Zudem lang das Land nun schon seit vielen Jahren brach, so dass sich niemand so recht erinnern mochte, zu welchem der beiden Höfe es denn nun eigentlich gehörte.
Natürlich konnte keiner der beiden Bauern eine gültige Besitzurkunde vorlegen - dann wäre der Prozess freilich einfach gewesen -; aber beide erinnerten sich daran, dass ihre Väter das Land bei einem ehrlichen Wettstreit gewonnen hatten. Mehrere Zeugen wurden geladen, die einst Zeug bei besagtem Wettstreit gewesen waren. Mal wurde die Geschichte des einen Bauern bestätigt, mal die des anderen. Bei einigen Zeugen war sich der Richter ihrer Glaubwürdigkeit alles andere als sicher; doch als er schließlich alle Befragungen rekapitulierte, musste er sich einsehen, dass es ihm unmöglich war, die Wahrheit zu erkennen. Unstrittig war einzig und allein die Tatsache, dass dieser Wettstreit stattgefunden und einer der beiden Männer das Land gewonnen hatte.
Und dennoch wurde von ihm ein gerechtes Urteil erwartet. Er war geneigt, dem ärmeren der beiden Bauern Recht zu geben, da der Besitz des anderen Bauern schon beträchtlich war und auf dieses eine Feld sicherlich hätte verzichten können. Doch wäre ein solches Urteil gerecht gewesen? Immerhin eilte dem ärmeren Bauern auch der Ruf nach, nicht sonderlich geschickt zu sein und nur die niedrigsten Erträge zu erwirtschaften. Der reichere Bauer, der zudem auch noch weit mehr Knechte hatte, würde das Land zum Wohle aller sicherlich weit besser nutzen können.
Wie, so fragte sich der Richter, sollte man ein gerechtes Urteil fällen, wenn beide Parteien gleichermaßen glaubwürdig waren und ein gleichermaßen berechtigtes Anliegen hatten?
Da er keinen Rat wusste, wandte er sich schließlich an den König, der das Problem auf sehr königliche Weise löste: Er erklärte, dass das strittige Land zwischen den beiden Bauern zu gleichen Teilen aufgeteilt werden solle. Die Bauern murrten zunächst, doch der König erklärte gleich darauf, dass er das Land auch annektieren könne, sollte ihnen dies gerechter erscheinen. Daraufhin waren die beiden Bauern sehr eifrig bemüht dem König zu erklären, dass die erste Lösung schon die richtige sie und sie ihm für die Schlichtung dieser unbedeutenden Streitigkeit zu großem Dank verpflichtet waren.
Doch der Richter konnte diesen Streit nicht vergessen und musste auch viele Monate später noch daran zurückdenken. In diesem Fall war eine Lösung vielleicht einfach gewesen. Doch was, wenn sich das Problem nicht einfach aufteilen ließe? Was wäre, wenn es sich um das Leben eines Menschen gehandelt hätte.
Und mehr noch, der Richter begann sich zu fragen, ob all seine bisherigen Urteile wahrlich gerecht gewesen waren. Was, so fragte er sich, wenn einer der vielen Zeugen gelogen hatte oder - wissentlich oder aus Vergesslichkeit - einen wichtigen Aspekt der Wahrheit außer Acht gelassen hatte? War jener Hühnerdieb gar ein notorischer Übeltäter, der von nun an noch weit schlimmere Verbrechen begehen würde? Oder hatte sich jener Taschendieb vielleicht doch nur bei seinem ersten Raubzug erwischen lassen und war doch nicht jener unbelehrbare Unhold, wie er von den Zeugen beschrieben worden war?
War es überhaupt möglich, so fragte er sich weiter, ein gerechtes Urteil zu fällen, wenn man nicht die volle, über jeden Zweifel erhabene Wahrheit kannte?
Als er diese Frage daraufhin dem König stellte, antwortete dieser: "Da magst du wohl Recht haben, Richter. Doch trotz deiner Robe bleibst du doch ein Mensch und niemand kann von einem Menschen erwarten, die volle Wahrheit zu erkennen. Vertraue deinem Gespür für Gerechtigkeit. Glaube mir, ein Gespür für Gerechtigkeit geht immer daher mit einem Gespür für Wahrheit."
"Aber einmal habe ich die Wahrheit nicht erkennen können", widersprach der Richter.
Daraufhin lachte der König. "Man kann von einem Menschen auch nicht erwarten, unfehlbar zu sein."
Obwohl der Richter natürlich wusste, dass der König Recht hatte - immerhin war er ja der König -, so konnte er sich dennoch nicht mit dieser Antwort zufrieden geben. Wie, so fragte er sich, konnte er fortan jemals wieder ein hartes, aber gerechtes Urteil fällen, ohne von Selbstzweifeln zu gequält zu werden? Hatten die Menschen, über die er ein Urteil zu fällen hatte, nicht ein Recht darauf, dass er unfehlbar war?
So entschloss sich der Richter den Zauberer des Landes aufzusuchen. Der Zauberer war ein sehr alter Mann, über dessen Herkunft nur wenig bekannt war. Auch wenn ihn viele inzwischen für ein wenig senil hielten, so wusste der Richte doch, dass der alte Mann bereits im kleinen Zeh mehr Magie hatte als all die vielen Möchtegern Zauberer, Alchimisten, Heiler und Druiden aller bekannten Königreiche zusammengenommen. Der Richte wusste nicht, ob ihm der Zauberer bei seinem Problem würde helfen können. Doch wenn er es nicht konnten, so konnte es wahrlich niemand.
"Du möchtest also die wahrhaftige Wahrheit erkennen?" fragte der alte Zauberer mit einem leicht süffisanten Lächeln - das war nichts außergewöhnliches, denn im Grunde lächelte der Zauberer immer so. "Dann lass dir gesagt sein, dass die wahrhaftige Wahrheit nicht für menschliche Augen bestimmt ist."
"Was kann denn schon gefährliches an der Wahrheit sein?" fragte der Richter erstaunt. "Wäre es nicht viel schlimmer, ein ungerechtes Urteil zu fällen, wenn man die Wahrheit nicht erkennt?"
Der Zauberer kicherte nur. "Du bist also wirklich davon überzeugt, dass du mit der wahrhaftigen Wahrheit ein gerechtes Urteil fällen kannst?"
"Ja", erwiderte der Richter fest, wenngleich er einen kurzen Moment lang zögern müsste. "Es ist die oberste Pflicht eines Richters, die Wahrheit zu erkennen und daraufhin zu richten."
"Nun gut, wenn dies wirklich dein Wunsch ist, so kann ich dich mit einem Bann belegen, der dich die Wahrheit erkennen lassen wird", sagte der Zauberer schließlich, immer noch süffisant lächelnd. "Der Zauber wird einige Vorbereitung erfordern und einmal ausgesprochen wird es nicht möglich sein, denn Bann wieder zu heben. Komm morgen wieder, dann sehen wir weiter."
Und so wartete der Richter bis zum nächsten Tag. Zur selben Stunde des Tages erreichte ihn ein Bote des alten Zauberers und geleitete ihn zu einem baufälligen Turm des Schlosses in dem der Magier vor langer Zeit sein Labor eingerichtet hatte; nur wenigen war seitdem vergönnt gewesen es zu Gesicht zu bekommen.
"Du willst also immer noch die wahrhaftige Wahrheit erkennen?" stellte der Zauber leise kichernd fest.
"Ja, das will ich", erwiderte der Richter mit fester Stimme.
"Wie ich gestern bereits sagte, kann der Bannzauber nicht wieder gehoben werden, wenn er einmal ausgesprochen wurde", warnte der Zauberer erneut. "Du wirst bis an dein Lebensende die Wahrheit erkennen, vielleicht sogar darüber hinaus."
Einen kurzen Moment lang kamen dem Richter doch Zweifel, ob er das richtige Tat. Die Worte des Zauberers klangen unendgültig und er war sich nicht sicher, ob er wirklich ausreichend darüber nachgedacht hatte, ob eine Entscheidung dieser Tragweite zu treffen. Doch beim besten willen konnte er nicht erkennen, was daran verkehrt sein sollte, die Wahrheit zu erkennen, ganz im Gegenteil sogar.
"Ich bin bereit", erwiderte der Richter fest.
Der alte Zauberer reichte ihm eine kleine Phiole mit einer blasblauen Flüssigkeit. "Dann trinke diese Flüssigkeit und dir werden die Augen geöffnet."
"Was ist das?" fragte der Richter misstrauisch, denn er hatte schon viele schaurige Geschichten über Zaubertränke gehört.
"Die Zusammensetzung dieser Substanz ist weit weniger wichtig wie das, was ist repräsentiert: Wahrheit", entgegnete der Zauber schelmisch. "Aber natürlich wirst du die erst erkennen, nachdem du sie getrunken hast."
Und so nahm der Richter die Phiole und lehrte sie mit einem Zug. Die bläuliche Flüssigkeit hinterlies ein rauchiges Gefühl in seiner Kehle, hatte ansonsten jedoch keinerlei Auswirkungen.
"Geh jetzt!" befahl der Zauberer barsch.
Der Richter gehorchte, denn selbst der König widersprach seinem mächtigen Hofzauberer nur äußerst selten.
Geschichten aus der Kantine ... äh ... Taverne von theTorn
Geschichten aus der Kantine ... äh ... Taverne von theTorn
Hier noch eine Geschichte eines Richters von TheTorn welche aus unserem alten Board stammt:
AW: Geschichten aus der Kantine ... äh ... Taverne von theTorn
Und weiter gehts...
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baba
Ari
....Auf der Straße war immer noch keine Wirkung zu spüren. Auch viele Tage später schien alles wie gewöhnlich zu sein. Andererseits wusste er auch nicht so recht, was er denn nun eigentlich erwartet hatte. Nach den ausführlichen Warnungen des Zauberers hatte er wohl mit etwas dramatischen gerechnet. Was wenn fortan die Wahrheit lediglich erkennen, jedoch auch weiterhin bezweifeln würde? Im Grunde würde sich dann nicht das Geringste für ihn ändern.
Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe und er erkannte, dass er von dem Zauberer genau das falsche verlangt hatte. Es war eine Sache, die Wahrheit zu erkennen, eine ganz andere jedoch, diese auch über jeden Selbstzweifel hinweg als solche zu akzeptieren. Die Gabe, die ihm der Zauberer versprochen hatte, würde ihm nicht das Geringste nutzen. Er entschied, dass ihm der alte Zauberer lediglich einen dummen Streich gespielt hatte - wofür er unter anderem ebenfalls recht berühmt war - und die Phiole bestenfalls nur gefärbtes Wasser enthalten hatte.
Doch schon bei seinem nächsten Prozess spürte er, dass etwas anders war. Zunächst war es nur eine leichte Vorahnung, die er zu ignorieren versuchte. Als er sich jedoch auf die Aussage eines Zeugen konzentrierte, war es so als würde er eine Barriere durchbrechen, die ihn bisher zurückgehalten hatte. Erinnerungen, flüchtige Eindrücke, wichtige Erkenntnisse, verborgene Geheimnisse - das gesamte Leben des Zeugen ergoss sich über ihn in einer schier endlosen Flut von Bildern. Nicht nur des Zeugen, auch die Erinnerungen des Staatsanwaltes, der Gerichtsdiener und Zuschauer breiten sich vor ihm aus; es wollte überhaupt kein Ende nehmen.
Irgendwie musste es ihm dann doch noch gelungen sein, die Verhandlung zu unterbrechen und den Weg an Hause zu finden. War es das gewesen wovor ihn der Zauberer hatte warnen wollen? Konnte er jemals hoffen einer derartig unfassbaren Menge an Sinneseindrucken Herr zu werden? Er wollte sich schon aufraffen, um den Zauberer um Hilfe zu ersuchen, doch erinnerte sich, dass er ihn ja davor gewarnt hatte, dass der Zauber nicht wieder rückgängig gemacht werden können; und er erkannte, dass der Zauberer selten wahrere Worte gesprochen hatte.
Im laufe der folgenden Tagen versuchte er seine Gabe besser zu verstehen und besser zu kontrollieren. Er lernte, wie er sich selbst gegenüber den vielen Sinneseindrücken abschotten und sich auf eine einzelne Person konzentrieren konnte. Eine gänzlich neue Welt öffnete sich ihm. Sämtliche Taten, Beobachtungen, Verfehlungen und Geheimnisse der Menschen lagen plötzlich offen vor ihm. Niemand würde je wieder dazu fähig sein, ihn zu belügen oder irgendein Detail zu verschweigen. Der Zauberer hatte ihn weder belogen noch ihm einen üblen Streich gespielt, und der Richter schämte sich ein wenig, dass er so schlecht von ihm gedacht hatte.
Er kehrte zum Gerichtssaal zurück und setzte die Verhandlung fort. Ein Urteil war schnell gesprochen, da sämtliche Fakten des Falles ja nun so offensichtlich waren. Auch bei den folgenden Fällen war es leicht, ein gerechtes Urteil zu finden - ganz so wie es ihm der König einst aufgetragen hatte. Wie mühselig das Befragen der Zeugen doch zuvor gewesen war. Nie wieder würde er daran zweifeln, ob man ihm auch die Wahrheit gesagt oder ein wesentliches Detail verschwiegen hatte.
Doch bereits nach wenigen Wochen merkte er, wie sich die Stimmung unter den Zuschauern deutlich veränderte. Seine Urteile wurden öffentlich in Frage gestellt. Man warf ihm vor, dass er die Zeugen viel zu oberflächlich befragte und meist gar nicht richtig zu Worte kommen lies, gerade so als würde es ihn nicht im Geringsten interessieren, was sie eigentlich zu sagen hatten. Und überhaupt war man der Ansicht, dass er seine Urteile viel zu voreilig fällte ohne die Fakten auch nur annähernd zu kennen.
In der Tat hatte der sich der Richter bei den letzten Verhandlungen nur wenig für das interessiert, was die Zeugen ihm zu sagen hatten. Wozu auch? Ein einziger Blick reichte aus, um alles zu wissen, was die Zeugen jemals hätten wahrheitsgemäß zu Protokoll geben können; ganz zu schweigen davon, was sie niemals öffentlich zugegeben hätten. Doch der Richter erkannte, dass sein Amt nicht allein darin bestand die Wahrheit zu finden und gerechte Urteile zu finden. Es war auch die Pflicht eines Richters, die Wahrheit offen darzulegen und seine Urteile für jedermann verständlich zu begründen, so dass nicht der Eindruck von Willkür entstünde.
So änderte der Richter seine Vorgehensweise bei Gericht und begann damit, die Zeugen und Angeklagten erneut ausführlich zu befragen, obgleich er die Wahrheit bereits kannte noch bevor sie den Zeugenstand überhaupt betreten hatten. Er stellte fest, dass es leicht war, die Wahrheit zu kennen, jedoch weit schwerer, die Menschen dazu zu bringen, diese auch einzugestehen. Zuweilen war es eine wirkliche Herausforderung, die Leute im Zeugenstand durch geschickte Fragen derart in Widersprüche zu verwickeln, dass sie am Ende gar nicht anders konnten, als die Wahrheit einzugestehen.
Sein Ruf unter den Bürgern besserte sich zusehends. Schnell kam man zu der Überzeugung, dass er wieder ganz der Alte war und seinen Sinn für Gerechtigkeit wieder gefunden hatte. Mehr noch, er schien scharfsinniger denn je zu sein und dazu fähig auch die kleinste Lücke in jedem auch noch so sorgsam gesponnen Lügengeflecht zu entdecken. Selbst die hartnäckigsten Kritiker mussten zugeben, dass - auch wenn sie mit vielen seiner Urteile übereinstimmten - kaum einen Richter gab, der derart geschickt ein Verhör zu führen wusste.
Es dauerte gar nicht lang bis sein Ruf auch außerhalb des Königreiches bekannt wurde. So ergab es sich eines Tages, dass der Regent eines angrenzenden Staates anfragte, ob er einen seiner Richter bei eben jenen berühmten Richter in die Lehre schicken könne. Der König wusste natürlich nur zu gut, dass man den Sinn für Gerechtigkeit nicht wie ein Handwerk erlernen können; aber er war auch stets um gute diplomatische Beziehungen bemüht, so dass er bereitwillig einwilligte.
Und so musste der Richter - auch wenn es ihm nicht sonderlich gefiel - seine Verhandlungen fortan unter den neugierigen Augen jenes angehenden Richters führen, und dessen Fragen beantworten: Ob es denn nicht besser gewesen wäre ein milderes oder härteres Urteil zu sprechen? Warum er sich so sicher sei, dass der oder die jenige im Zeugenstand gelogen hatte? Wie er dies oder jenes hatte ahnen können? - Es war ein Graus.
Natürlich hätte er dem anderen Richter über den Zauber berichten können; oder mehr noch gleich zu dem Zauberer schicken können. Doch aus irgendeinem Grund zögerte er, dieses Geheimnis preis zu geben. Und so war es wenig verwunderlich, dass der andere Richter bereits nach wenigen Monaten recht frustriert in seine Heimat zurückkehrte, ohne auch nur das Geringste gelernt zu haben.
Obgleich der Richter froh darüber war, dieser Bürde entledigt zu sein, so musste er noch lange Zeit daran zurückdenken. Er fragte sich, warum er den Zauber geheim gehalten hatte; nicht allein dem anderen Richter gegenüber, recht bedacht war er eigentlich stets bemüht gewesen, es vor allen geheim zu halten. War es lediglich eine Form der Eitelkeit? Fürchtete er, um seine Ruf? Oder wollte er ganz einfach ein besserer Richter sein als jeder andere und fürchtete um seinen Vorteil?
Eines Tages entdeckte er dann, dass seine Gabe die Wahrheit zu sehen nicht nur bei anderen, sondern auch bei ihm selbst funktionierte. Es stimmte zwar, ein gewisses Maß an Eitelkeit hatte auch eine Rolle gespielt. Doch in erster Linie hatte er gespürt, dass es falsch gewesen wäre, anderen von dem Zauber zu berichten. Wenn er in die Augen der Angeklagten, Zeugen und Zuschauer blickte, dann konnte er immer häufiger Angst erkennen. Weniger die Angst vor einem schweren Urteil, sondern vielmehr Angst davor, etwas preisgeben zu müssen, was lange und sorgsam verborgen gehalten wurde. Er hatte sich den Ruf geschaffen, unfehlbar zu sein und jedes auch noch so gut gehütetes Geheimnis aufdecken zu können. Hätte er sein eigenes Geheimnis in aller Öffentlichkeit gelüftet wäre diese Angst vermutlich in blanke Panik umgeschlagen.
Sicherlich musste ein Richter auch gefürchtet werden. Doch ein seinem Fall wurde nicht so sehr sein Amt gefürchtet, vielmehr war es die Furcht vor der Wahrheit. Wenn ihn seine Gabe eines gezeigt hatte, dann das jeder Mensch in seinem Leben aus jedweden gerechtfertigten oder niederen Gründen schon einmal gelogen hatte - durch sein verschweigen des Zaubers musste er sich selbst wohl ebenfalls dazuzählen. Und er erkannte, dass dies notwendig war.
Wenn aber die Lüge einen so festen Bestandteil in der Wahrheit der Menschen einnahm, konnte er dann überhaupt wahrhaft gerechtes Urteil fällen? Konnte sich jemand, für den es keine Lüge gab, überhaupt anmaßen über Menschen zu richten, für die es so wichtig war, einen Teil der Wahrheit zu verbergen? Erneut wirkte seine Gabe bei ihm selbst, und er musste erkennen, dass er dies nicht konnte.
Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er diese Erkenntnis ignorieren sollte. Doch das wäre eine weitere Lüge gewesen; und genauso wenig wie ihn irgendjemand anderer in der Lage war, ihn zu belügen, konnte er sich selbst belügen. Solange er seine Gabe einsetzte konnte er das in ihn gesetzte Vertrauen des Königs nicht erfüllen. Und wie konnte er seine Gabe nicht benutzen? Jedes mal, wenn er auch nur den grinsten Anflug eines Zweifels hatte, würde er sie einsetzen; das wusste er.
Und so ging der Richter schließlich zum König und erklärte ihm, warum er sein Amt nicht mehr würde ausführen können. Der König hörte aufmerksam zu und runzelte etwas erstaunt die Stirn, als er von dem Zauber erfuhr.
"Ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Gabe, die dir der Zauberer gegeben hat, dich wirklich die Wahrheit erkenn lässt", erwidert der König schließlich. "Doch ich glaube dir, dass die wahrlich davon überzeugt bist, keine gerechten Urteile fällen zu können. Und egal, ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, wenn du selbst daran nicht glaubst, dann kannst du es auch nicht."
Mit diesen Worten entließ der König den Richter aus seinem Amt und schenkte ihm, als Dank für seine geleisteten Dienste, einen kleinen Hof in der Nähe der Grenze, wo der Richter fortan in aller Abgeschiedenheit lebte. Gelegentlich bekam er Besuch von Leuten, die von seinem außergewöhnlichen Ruf gehört hatten und seinen Rat suchten. Doch all jenen wusste er nur eines zu sagen:
"Die Wahrheit, die ihr sucht, werdet ihr nicht bei mir finden. Sucht sie in euch selbst und ihr werdet erstaunt sein, wie leicht sie zu finden ist."
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Ist bestimt sehr sehr sehr gut, aber bin zufaul das alles zu lesen , wann kommt die verfilmung raus?
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Grandi
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Grandfather hat geschrieben:Ist bestimt sehr sehr sehr gut, aber bin zufaul das alles zu lesen , wann kommt die verfilmung raus?
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Grandi
Hmm ,mal Landru fragen, wenn ich ihn erreicht und bescheid gegeben habe, dass er hier jetzt posten kann
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Das ist wohl einer der Gründe, warum ich angefangen habe, Comics zu zeichnen
Und um der Frage gleich vorwegzugreifen: Nein, das hier wird wohl niemals als Comic erscheinen. Hab' ja noch nicht mal eins fertig, aber bereits drei neue in Planung ...
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Hassu mal wieder den link zu deiner Comic Seite? *liebguck*
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Es gab zumindest mal eine, und die war super
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Ist in meinem Profil als Homepage eingestellt.
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"You are an idiot," Molly Grue said fiercely. "Do you hear me?" You're a magician, all right, but you're a stupid magician."
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Ahjo dangöööö
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